Freiwillige Helfer von "Ärzte ohne Grenzen" stehen in mehr als 400 Ländern, meist Krisenregionen, im Einsatz. Die Organisation gerät nun zusehend an die eigenen Grenzen: Es fehlt medizinisches Personal

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Sie würden gerne, können aber nicht: Rund ein Viertel aller Positionen in den weltweiten Projekten der medizinischen Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" ist unbesetzt, bei Ärztepositionen ist es sogar ein Drittel. Selbst in Ländern, in denen die unabhängige humanitäre Organisation - nicht zuletzt aus politischen Gründen - als einzige medizinische Hilfe anbieten könnte, müssen Einsätze gestrichen werden. "Weil uns Personal fehlt", begründete Franz Neunteufl, seit Anfang des Jahres Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich, am Montag die derzeitige Situation: "Wir brauchen ganz dringend Ärzte, Hebammen und Medizinisch-Technische Analytiker."

Die Ursache für die Personalnot liege jedoch nicht in einer mangelnden Einsatzbereitschaft von freiwilligen Helfern. "Bewerbungen gäbe es genug", unterstrich Neunteufl den Enthusiasmus von medizinischem Personal aus Österreich. Allein - heimische Spitäler würden "jene, die Interesse haben, meist nicht karrenzieren oder freistellen".

Kaum Freistellungen

Die österreichische Sektion von Ärzte ohne Grenzen wurde vor neuen Jahren gegründet. Bis zum Vorjahr waren 117 Freiwillige bei insgesamt 253 Einsätzen. "In derselben Zeit gab es aber nur 23 Freistellungen für solche Einsätze", echauffierte sich der Geschäftsführer. Die Gründe dafür seien vielfältig: von spitalinterner Personalknappheit über unflexible Urlaubs- und Diensteinteilungen, bürokratische Hürden bei Versicherungs- und Sozialleistungen bis hin zu Vorurteilen der Verantwortlichen. "Jetzt wurde einer Ärztin von einem großen Spital die Freistellung mit der Begründung verweigert, der Einsatz sei nicht von öffentlichem Interesse", zürnte Neunteufl.

Mit der nun gestarteten österreichweiten Kampagne "Gesucht: Echte Idealisten" versucht die Organisation daher für Freiwillige bessere Ausgangsbedingungen zu schaffen, Notwendigkeit und Nutzen derartiger Hilfe in der Öffentlichkeit, bei Spitalsverantwortlichen und Politikern bewusst zu machen (siehe Termine): Die erste Kampagne, bei der nicht "vergessene Krankheiten" oder "vergessene Konflikte" in einem Land thematisiert werden, sondern bei der es "um die Substanz, um das Weiterführen von Hilfseinsätzen generell geht".

Begonnen hat alles 1968

Begonnen hat alles 1968: Der junge französische Arzt Bernard Kouchner fährt mit einem kleinen Medizinerteam nach Biafra. Hunger und Bürgerkrieg treffen sie wie ein Schock. Sie evakuieren Schwerverwundete, damit sie von nigerianischen Soldaten nicht in den Spitalsbetten erschossen werden. Viel mehr können sie nicht tun, neben der Infrastruktur fehlt es an Medikamenten und medizinischem Gerät. Dann folgt ein Einsatz im überfluteten Bangladesch. Zurück in Paris und frustriert von den begrenzten Möglichkeiten zu helfen, entschließen sich die Ärzte zu handeln. Ihre Vision: eine Organisation zu schaffen, die sich erstmals auf medizinische Not- und Basishilfe spezialisiert und über nationale Grenzen hinweg Hilfe leistet.

1971 gründen Kouchner und Kollegen "Médecins Sans Frontières" (MSF), übersetzt Ärzte ohne Grenzen. Die ersten Einsätze der neuen Organisation finden in Uganda, Libanon, Tschad, Eritrea, Sudan und Afghanistan statt. Bald entwickelt sich die Initiative zur größten unabhängigen medizinischen Hilfsorganisation der Welt - mit 3000 freiwilligen Helfern und 15.000 lokalen Angestellten in mehr als 400 Hilfsgebieten (siehe Interview). 1999 erhält Ärzte ohne Grenzen den Friedensnobelpreis "in Anerkennung der bahnbrechenden humanitären Arbeit dieser Organisation auf mehreren Kontinenten", urteilt das Nobel-Komitee.

Derzeitiges Ziel: "Die Einsätze aus Österreich zu verdoppeln", sagte Neunteufl. Zurzeit sind 28 Freiwillige im Einsatz. Aufwandsentschädigung: Spesenersatz und 600 Euro monatlich. Einsatzdauer: im Schnitt sechs Monate. (Andreas Feiertag, Der Standard, Printausgabe, 16.09.2003)