Gegen die schwedische Außenministerin Anna Lindh gab es vor dem Mordanschlag Drohungen. Das wurde am Freitag bekannt, während vom Täter weiter jede Spur fehlte. Umfragen deuteten unterdessen auf ein knappes Ergebnis beim Euroreferendum am Sonntag hin.

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Schweden trauert um Anna Lindh. Der Platz vor dem Stockholmer Kaufhaus NK, wo die Ministerin niedergestochen worden war, hat sich in ein Meer aus Blumen und Kerzen verwandelt; auch an anderen Stätten ehren Tausende Menschen das Andenken der populären Ministerin. Für den Freitagabend waren im ganzen Land Trauerkundgebungen geplant.

Der Attentäter befand sich am Freitag weiterhin auf freiem Fuß. Gleichwohl äußerte sich die Polizei zuversichtlich über eine baldige Festnahme. Zeugenaussagen hätten eine noch genauere Täterbeschreibung ermöglicht, hieß es. Man geht weiter von einem kriminell belasteten, möglicherweise psychisch kranken Einzeltäter aus. Spezialisten untersuchen am Tatort zurückgelassene Kleidungsstücke des Attentäters sowie die Tatwaffe. Bis zum Beginn kommender Woche soll daraufhin eine DNA-Analyse erstellt werden.

Unterdessen wurde bekannt, dass Lindh vor der Tat Drohungen ausgesetzt gewesen war. Eine entsprechende Mail sei nach ihrem Aufsehen erregenden Auftritt mit Ericsson-Konzernchef Carl-Eric Svanberg eingegangen, bestätigte das Außenministerium.

Die sozialdemokratische Ministerin hatte im August gemeinsam mit dem Industriellen für ein Ja beim bevorstehenden Euroreferendum geworben. Unter den zahlreichen empörten Reaktionen war auch eine Mail gewesen, in der ein Unbekannter Lindh als "machtgeile Ziege" bezeichnete und ihr riet, auf ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder zu achten.

Das Ministerium räumte ein, die Mail weder an die Sicherheitspolizei noch an Lindh weitergeleitet zu haben. Die Ministerin habe "von derlei Briefen nichts wissen wollen", hieß es. Die Sicherheitspolizei wollte die Angaben zunächst nicht kommentieren.

Nach dem Tod der Außenministerin sind sämtliche Wahlkampagnen vor dem für Sonntag angesetzten Euroreferendum eingestellt worden. Am Freitagabend wurden statt der geplanten abschließenden Fernsehdebatte nur kurze Stellungnahmen der Parteien ausgestrahlt.

Unterdessen verstärkten Meinungsumfragen die Spekulationen, wonach die bisher abgeschlagene Seite der Eurobefürworter nach dem Mord an Lindh Aufschwung erhalten könnte: In der am Freitag veröffentlichten Analyse des Skop-Instituts lagen das Ja-und das Nein-Lager mit jeweils 50 Prozent gleichauf. Die Parteivorsitzenden appellierten an die Bürger, mit starker Wahlbeteiligung ein Zeichen für Demokratie und gegen Gewalt zu setzen.

Einen Tag nach dem Attentat auf Lindh ist in Schweden ein fünfjähriges Mädchen erstochen worden. Ein 20-jähriger Mann habe das Mädchen auf dem Spielplatz eines Kindergartens in Arvika mit einem Messer angegriffen, teilte die Polizei am Donnerstag mit. Die Fünfjährige starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Täter wurde nach einer Stunde gefasst. Er soll Patient der in der Nähe gelegenen Nervenklinik sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.9.2003)