"Europa altert. Wir müssen unsere Pensionssysteme anpassen."

foto: der standard/cremer
Wien - Sie gilt als die "Mutter des Lissabon-Prozesses", jenes Masterplans, der Europa zum wettbewerbsfähigsten und innovativsten Wirtschaftsraum der Welt machen sollte. So haben es die Staats-und Regierungschefs der EU zumindest im März 2000 in Lissabon beschlossen - wobei dieses Ziel durch einen Mix aus voller Liberalisierung von Energie-, Post-, Bahn und Gassektor, durch stärkere Investition in Forschung und IT-Bereich, durch leichteren Kapitalzugang für Gründerfirmen gefördert werden soll.

Aktionspläne

Trotz Krise sei sie mit dem Zustand ihres "Babys" durchaus "zufrieden, im Großen und Ganzen", sagt die Wirtschafts- und Arbeitsweltexpertin, von der Industriellenvereinigung nach Wien geholt, dem STANDARD. Nach der Formulierung des gemeinsamen Zieles für Europas Wirtschaft gehe es jetzt darum, die erarbeiteten "nationalen Aktionspläne" umzusetzen.

Gewiss, von den drei Prozent Wachstum, die man sich Anfang 2000 vorgenommen habe, sei die Union weit entfernt, räumt sie ein. Aber: "Das ist Ausdruck unvorhersehbarer Faktoren, wie des Anschlags vom 11. September 2001 oder der Irakkrise", die man natürlich nicht einkalkulieren habe können. Die Budgetprobleme der Staaten, steigende Arbeitslosigkeit gingen unter anderem darauf zurück.

Nicht täuschen lassen

"Man soll sich aber dadurch nicht täuschen lassen, wenn manches jetzt blockiert ist", befindet Rodrigues, "der langfristige Trend, dass es in Richtung einer wissensbasierten Gesellschaft geht, dass mehr und bessere Arbeitsplätze entstehen müssen und auch der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft in Europa gestärkt werden muss, dieser Trend bleibt". Im Gegensatz zu den USA müsse Europa nicht nur auf neue Technologien und Wettbewerbsfähigkeit setzen, sondern ebenso soziale Akzente setzen, "das ist das speziell Europäische und das kann auch ein enormer Erfolgsfaktor sein".

Als Beispiel dafür nennt Rodrigues Dänemark, Schweden und Finnland, die höchst erfolgreiche Modelle für einen intelligenten Umbau von Staat und Wirtschaft vorgezeigt hätten, "dass Wettbewerbsfähigkeit und soziale Sicherheit kein Widerspruch sind".

Anpassung der Arbeitsverträge

Auch Österreich, sagt sie, sollte sich daran ein Beispiel nehmen, wenn es den Wohlfahrtsstaat in die Zukunft retten wolle: "Europa altert. Wir müssen unsere Pensionssysteme anpassen, sprich das Pensionsalter anheben, für mehr Flexibilität sorgen. Mehr Ältere müssen in den Arbeitsprozess. Das ist eine absolute Notwendigkeit", erklärt Rodrigues. "Zweitens brauchen wir Reformen beim Arbeitszeitmanagement, bei der Arbeitsgestaltung", fährt sie fort. Frauen müssten ebenso besseren Zugang zur Arbeit finden wie die Betreuung von Kindern gelöst werden müsse.

Rodrigues: "Die Arbeitsverträge müssen angepasst werden, die Weiterbildung in den Firmen ausgebaut werden, wir brauchen überall da Bewegung und Flexibilität" - was nicht bedeute, dass soziale Standards dabei zu kurz kommen müssten. Im Gegenteil: "Hohe Lebensqualität, wie in Österreich, kann ein entscheidender Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor sein."

Forschung und Innovation stärken

Neben den Reformen in der Arbeitswelt müsste als weitere "Schlüsselpriorität" Forschung und Innovation entscheidend gestärkt werden: Alle positiven Beispiele, wie in den skandinavischen Ländern, zeigten: "Immer ist es ein Zusammenschluss von Firmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, die einen Finanzier haben, der zum Erfolg führt." Nicht nur der Staat, besonders auch die Zivilgesellschaft sei gefordert, hierzu Anstöße zu geben. Das gelte, sagt Rodrigues, auch für Österreich, wo es aufgrund des hohen Niveaus prinzipiell sehr gute Voraussetzungen für Reformerfolge gebe, wo aber viel zu wenig in Innovation investiert werde. (Thomas Mayer, DER STANDARD Print-Ausgabe, 11.9.2003)