Bild nicht mehr verfügbar.

dpa/dpaweb/Archivbild

Sätze wie Monolithe: "Alle Massenkultur unterm Monopol ist identisch." "Die ganze Welt wird durch das Filter der Kulturindustrie geleitet." "Fun ist Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig. Lachen in ihr wird zum Instrument des Betrugs am Glück."

 

Im Exil schreibt Theodor W. Adorno zusammen mit Max Horkheimer 1944 die Dialektik der Aufklärung. Das Kapitel über die "Kulturindustrie" wird dreißig Jahre später zum Einflussreichsten zählen, was im Kreis der Kritischen Theorie entstand. Wie ein magisches Fahnenwort zirkuliert jetzt der Begriff der Kulturindustrie durch wissenschaftliche Abhandlungen und zugleich durch eine Öffentlichkeit, die ja selbst ein gewichtiger Teil dessen ist, was der Begriff benennt.

Der Erfolg der Kulturindustriethese mag auch mit dem spektakulären, apokalyptischen Duktus zusammenhängen, in dem Adorno sie vortrug. Der "Amüsierbetrieb", der Kultur zum unentrinnbaren Verhängnis umgemodelt habe, erzwinge die "Reproduktion des Immergleichen" als organisierten "Massenbetrug" - und das weit über seine Koalition mit dem Faschismus hinaus.

Adorno besaß, fixiert auf bestimmte standardisierte Produkte der Populärkultur, wenig Gespür für das Komische, das Improvisierte und das Leichte, das nicht per se schäbig und stereotyp sein muss. Ihm war das Lachen, sofern es durch den Konsum kultureller Waren stimuliert wird, in der Regel verdächtig - als Ausdruck verdrängter Unterwerfung und übertünchter Aggression. Der Ironie, der Abweichung, dem Spielerischen, in summa: der Öffnung des Kunstwerks stellte er, bei aller Aufmerksamkeit für die Selbstreflexion und die Selbstauflösung des autonomen Werks in der spätbürgerlichen Avantgarde (zumal bei Berg und Schönberg), die Strenge der Organisation des artistischen Materials gegenüber.
Ausgangspunkt der "ästhetischen Barbarei", die die Dialektik der Aufklärung diagnostizierte, war für Adorno der Jazz. Er galt ihm als "industriell angedrehte Masche" und "totale Auslieferung an die Warenproduktion", als "autoritäre Rebellion" und "konforme Auflehnung", wie Heinz Steinert, Mitbegründer des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien und Professor für Soziologie in Frankfurt/Main, in der gründlich überarbeiteten Neuauflage seines Buches Die Entdeckung der Kulturindustrie oder: Warum Professor Adorno Jazz-Musik nicht ausstehen konnte darlegt.

Adornos Urteile sind nicht unbekannt (und haben des Öfteren zu mokanten Äußerungen über seine Jazz-Unkenntnis geführt), aber Steinert versteht es glänzend, sie einerseits aus biografischen, theoriegeschichtlichen Zusammenhängen heraus zu erhellen, anderseits, sie zu kontrastieren durch sorgfältige Exkurse über die sozialen und kulturellen Milieus, in denen sich der Jazz entwickelte und in vielerlei Genres aufspaltete.

Zu Berühmtheit gelangte etwa Adornos Verdikt aus dem Jahr 1936, an dem er im Grunde bis in die Sechzigerjahre festhielt: "Die Wirksamkeit des Marschprinzips im Jazz ist evident (. . .). Darum will der Jazz zum faschistischen Gebrauch gut sich schicken." Dazu passt die These des Kulturindustriekapitels, "die industrialisierte Kultur so gut wie die völkische" diene der Uniformierung und der Auslöschung des Individuums.

Steinert korrigiert diesen seinerseits totalisierenden Zug der Theorie, indem er die Großthese der durchgängigen Scheinfreiheit und unzerbrechlichen Herrschaftsfunktion kulturindustrieller Erzeugnisse aus dem Bild des Intellektuellen erklärt, der sich dem autonomen, ernsten Werk in "öffentlicher Einsamkeit" deutend zuwendet, um die eigene brüchige Würde zu bewahren.

Genauigkeit ohne Umständlichkeit ist ein seltenes Merkmal akademischer Arbeiten. Wenn aber Steinerts gelassen abwägende und stilistisch gelockerte Überlegungen dem hörigen Adorniten zu freizügig erscheinen mögen, wäre immerhin sein Vorschlag aufzugreifen, den Jazzmusiker, der eine ironische, antiautoritäre Beziehung zur Kunst der freien, selbstbewussten Band-Interaktion unterhält, als "Vorbild für eine brauchbare Haltung des Intellektuellen zu nehmen" - zumal deshalb, weil die Kritische Theorie Bestandteil der Kultur- und Intellektuellenindustrie geworden ist. So ernst das Leben, so ironisch kann Wissenschaftsgeschichte sein. (DER STANDARD; Printausgabe, 10.09.2003)