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Alleinerzieherinnen, Migrantinnen und kinderreiche Familien sind in Tirol am häufigsten von Armut betroffen.
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Innsbruck - Die klassische Haushaltsstruktur, bestehend aus einem verheirateten Paar und ein bis zwei Kindern, ist auch in den ländlichen Bezirken Tirols längst ein Minderheitenprogramm. "Modernisiert" hat sich auch die Einkommensstruktur: Das Modell "ein (männliches) Vollzeiteinkommen sichert den Unterhalt mehrerer Personen" ist weitgehend durch "Mixeinkommen" (aus Arbeitstätigkeit und Transferleistungen) ersetzt worden.

Doch die sozialen Angebote halten mit diesen Veränderungen nicht mit - angefangen bei finanziellen Hilfen bis zu Versorgungseinrichtungen für Kinder. Zu dieser Schlussfolgerung kommt der Salzburger Sozialwissenschafter Heinz Schoibl, der im Auftrag des Landes eine "Sozialbedarfsstudie" durchgeführt hat. Schoibl fordert eine "radikale Änderung in der Angebotsstruktur", bei der es darauf ankomme, Hilfesuchenden einen einzigen, kompetenten Ansprechpartner gegenüberzustellen.

Alleinerzieherinnen, kinderreiche Familien, Migrantinnen

Die tausend repräsentativen Telefoninterviews die für die Studie geführt wurden, liefern handfestes Datenmaterial für Bekanntes: Alleinerzieherinnen, kinderreiche Familien, Migrantenhaushalte unterliegen einem erhöhten Armutsrisiko. Ein weiterer Armutsfaktor ist die Entfernung von der Landeshauptstadt.

Kumuliert wird das Risiko rasch zu manifestierter Armut, etwa bei "einer Migrantin am Land", wie es Schoibl pointiert formuliert. Als armutsgefährdet gelten 21 Prozent der Erwerbstätigen, weil sie monatlich weniger als 790 Euro netto verdienen. Bei den Fraueneinkommen unterschreiten sogar 40 Prozent diese offizielle Armutsgrenze. Dramatisch ist die Situation von Arbeitslosen: vier von fünf beziehen Arbeitslosengeld unter diesem Betrag.

Hohe Verschuldung

Tirols Haushalte befinden sich zu 80 Prozent in Eigenheimen und haben einen hohen Wohnstandard. Die Kehrseite ist eine deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegende Verschuldung.

Überraschend ist für Autor Schoibl das Studienergebnis, dass die Inanspruchnahme sozialer Dienste sinkt, je höher der Frauenanteil in den Haushalten ist - offenbar Ausdruck einer bei Frauen ausgeprägteren "Scham-Barriere".

Soziallandesrätin Christa Gangl (SP) erblickt einen Auftrag zum Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen. Beim Wohnen sollten "Ideologien über Bord geworfen" und Mietzinsbeihilfen künftig in allen 268 Tiroler Gemeinden angeboten werden. Die Studienergebnisse sollen sich im neuen Sozialhilfegesetz niederschlagen, meint Gangl. (Hannes Schlosser, DER STANDARD, Print, 09.09.2003)