Trend zur berufsbildenden höheren Schulen hält an

Kinder und Jugendliche in Ostösterreich haben die erste Schulwoche hinter sich. Und sind damit je nach Alter in Rechnen, Lesen, Software oder dem Gebrauch französischer Vokabeln schon wieder voll drin. In allen anderen Bundesländern begann am Montag der Schulalltag für ein paar Hunderttausend Burschen und Mädchen.

Eltern und Schüler konnten schon im Frühjahr die ersten Strukturprobleme an den österreichischen Schulen erkennen: Der Sohn oder die Tochter wurde nicht an der Wunschschule aufgenommen. Vor allem rund um die städtischen Ballungszentren herrscht ein Mangel an AHS-Plätzen, zum Beispiel in Purkersdorf bei Wien oder in Wiener Neustadt. Auch in so manchen zuzugsstarken Wiener Außenbezirken mussten Absagebriefe verschickt werden. Wegen Budgetknappheit werden - noch unter rot-schwarzer Koalition auf Bundesebene beschlossen - Freifächer nicht mehr angeboten, werden daher schulspezifische Schwerpunkte zur Profilierung wieder relativiert. Integrationsklassen, Schulversuche oder Private müssen auf Fördermittel verzichten.

Weniger Unterricht

Jetzt im Herbst wird manchen im positiven oder negativen Sinne klar: Es gibt auch weniger Unterricht, genau um zwei Stunden pro Woche - nach vielen Diskussionen im Frühjahr letztlich als "Wochenstundenentlastungs- und Rechtsbereinigungsverordnung 2003" für dieses Schuljahr ministeriell verordnet.

Susanne Brandsteidl, Stadtschulratspräsidentin im SPÖ-dominierten Wien, ist strikt gegen diese Maßnahme von VP-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer: "Ich halte es für Wahnsinn, dass den Kindern weniger Unterricht angeboten wird." In Summe auf das gesamte Schuldasein bezogen, mache das ein halbes Jahr weniger Unterricht aus, rechnet Brandsteidl vor.

Postenmangel

In Wien warten 350 Lehrer im Pflichtschulbereich auf einen Posten, in Oberösterreich sind es 700. In der Steiermark finden sich die Namen von 158 Deutsch-, 155 Geschichts-und 139 Geografielehrern auf der Warteliste. Der Postenmangel sei - auch - im Zusammenhang mit den Stundenkürzungen zu sehen, argumentiert Brandsteidl. Die Umsetzung dieser Stundenkürzungen bleibt den Schulen überlassen, dort tut man einander unter Kollegen sicher nicht weh. "Jeder sagt, mein Fach nicht", erklärt Wolfgang Weingartner, Direktor an der HAK Traun (Bezirk Linz-Land). Als derzeitiger Stellvertreter des oberösterreichischen Landesschulinspektors hat er den Überblick. Sämtliche "seiner" Schulen haben den Ministeriumsvorschlag zur Stundenkürzung übernommen.

Laut Wiens Präsidentin Brandsteidl sind 75 Prozent der Wiener Schulen Gehrers Empfehlung gefolgt, die Stunden für Geschichte, Latein, Geografie oder Musik zu kürzen. Nur ein Viertel der Wiener Schulen hat autonom entschieden. Etwa dort, wo die Schwerpunkte das Wesen einer Schule ausmachen, zum Beispiel im Musikgymnasium. Dort Musik zu kürzen sei sinnlos. Da hat zum Beispiel ein Turnlehrer die Stunde hergeben müssen.

Elfriede Jarmai, Direktorin an einer AHS in Wien-Floridsdorf, "kann noch nicht sagen, wie sich das auf die Schüler auswirkt, aber klar ist, dass es sich auf die Lehrer auswirkt". Eine Stunde weniger Zeit, aber gleicher Lehrplan, lautet die Formel, die es in gekürzten Fächern umzusetzen gilt.

Flucht in die Pension

Zum Umstand von weniger Unterrichtsstunden kommt ein Problem, das derzeit in den Auswirkungen völlig unwägbar ist: Lehrer können bis 30. November für den Vorruhestand optieren. Das heißt, sie müssen bis dahin der Schulbehörde bekannt geben, ob sie mit einem Abschlag von vier Prozent pro Jahr früher in Pension gehen wollen. 2000 bis 2002 haben 1400 Bundeslehrer für dieses Modell votiert. Angesichts der allgemeinen Pensionsdebatte wird dies unter Lehrern noch heftig diskutiert. Mit ein Grund ist, dass das Pensionsantrittsalter für den Vorruhestand von derzeit 56,5 bis 2009 auf 60 Jahre angehoben werden soll.

Für die Planung in den Schulen ist es schwierig, dass die Entscheidung bis Ende November - also mitten im Schuljahr - getroffen werden kann. Direktorin Jarmai geht nicht davon aus, dass damit eine "Massenentwicklung" verbunden ist, ihr also Ende November gleich im Dutzend die Lehrer abhanden kommen könnten. An der Trauner HAK weiß Direktor Weingartner bisher von einer Lehrerin (von 50), die sich in den Vorruhestand verabschieden wird. Da Direktorinnen und Direktoren keine Personalhoheit hätten, könne man nur hoffen, dass rechtzeitig für Ersatz gesorgt werde. (Irene Brickner, Walter Müller, Martina Salomon und Andrea Waldbrunner, Der Standard, Printausgabe, 09.09.2003)