Ramsey Beach

Foto: www.hinchinbrookferries.com.au
Das kleine Boot tastet sich in die Mangrovensümpfe vor. Leise gluckernd verläuft sich die Bugwelle im schlicküberzogenen Wurzelgewirr halb versunkener Bäume. Schon seit geraumer Weile sind die Leute mit den Rucksäcken zu ihren Füßen still. Ihre mulmige Grundbefindlichkeit scheint der Bootsführer zu spüren, denn er setzt zu einer Lobpreisung an. Dass die wenigen, die Hinchinbrook Island einen Besuch abstatten, privilegiert seien, weil der Zugang streng reglementiert sei. Und dass das Eiland vor der ostaustralischen Küste eben zwei Gesichter habe. Das freundliche bekomme man etwas später zu sehen.

Statt im Südseeparadies wähnt man sich vorerst auf dem Weg mitten in das "Herz der Finsternis", das Joseph Conrad auf einem dunklen Strom im tiefsten Afrika verortet hat. Dass Flüsse, die bis zu ihrem Ursprung befahren werden, zumeist mit nacktem Wahnsinn oder einer schrecklichen Gefahr aufwarten, ist seit Streifen wie "Apocalypse Now" oder "Fitzcarraldo" ein Gemeinplatz.

Im trüben Wasser der Missionary Bay scheint sich die Gefahr in Form von meterlangen Salzwasserkrokodilen zu manifestieren, die bei jedem Australien-Besucher unwillkürlich eine Gänsehaut hervorrufen. Ein Kringeln an der Wasseroberfläche kündigt schon eine Panzerechse an und lässt sechs Augenpaare nach dem einen Augenpaar ausspähen, das jede Bewegung genau registriert und den einen, passenden Moment abwartet.

Ob man sich nicht doch zu viel zugemutet hat? Wandern in einer Gegend, wo es außer Krokodilen Gekreuch gibt, von dem man lieber gar nicht wissen will, wozu es imstande ist? Der Moment, in dem die Skepsis in ihr Gegenteil umzuschlagen beginnt, lässt sich genau festmachen. Zehn Minuten nachdem die Passagiere an Land gesetzt worden sind, mutiert die vermeintliche grüne Hölle hinter einer mächtigen Düne zur Südsee, und ihre ultimative Verkörperung heißt Ramsay Beach: ein acht Kilometer langer, halbmondförmiger Strand mit goldgelbem Sand, der von türkis leuchtendem Wasser und einem dunkelgrünen Regenwald eingerahmt wird.

Hier beginnt der Thorsborne Trail, der sich den sanften Konturen auf der Sonnenseite von Hinchinbrook Island anpasst und 33 Kilometer nach Süden führt. Dass dieser Wanderweg zu den populärsten Australiens zählt, hat wohl auch mit seinem geringen Beschwerlichkeitsgrad zu tun. Wandern hat hier viel mehr von Schlendern. Die meiste Zeit über spaziert man barfuß über den Strand. Nur ab und zu gilt es, die Wanderstiefel hervorzukramen, wenn der Weg in den Regenwald abbiegt. Auf dem Abstecher zu den Zoe-Fällen beispielsweise, wo das Wasser in einen garantiert krokodilfreien Pool hinabstürzt. Sich auf der Tarzanschaukel auf den höchsten Punkt zu schwingen und ins kühle Nass zu plumpsen bringt jede ängstliche Seele zum Baumeln.

Abseits der Strandmeile erinnert die Topografie an die wilden Inseln der Marquesas oder Melanesiens. Wie ein Rückgrat zieht sich eine Kette wild gezackter Granitformationen mit senkrechten Wänden und messerscharfen Graten mitten durch die vierzig Kilometer lange Insel. Fast immer in Wolken gehüllt ist der 1121 Meter hohe Mount Bowen, der höchste Berg Hinchinbrooks.

Dass sich das Inselinnere nur auf Trampelpfaden oder entlang der zahlreichen Bäche erkunden lässt, wird bereits beim Aufstieg auf den Nina Peak deutlich. Von dem 312 Meter hohen Aussichtspunkt präsentiert sich der größte ozeanische Insel-Nationalpark der Welt als janusköpfig. Auf der wilden Westseite zeichnen mäandrierende Flüsse Schlangenmuster in den immergrünen Regenwald.

Wenn die Flut vom Hinchinbrook Channel in die Mangrovensümpfe schwappt, folgen ihr hungrige Meeresfische. In der Übergangszone von Salz- und Süßwasser leben neben Krokodilen, die die Einheimischen verniedlichend "Salties" nennen, auch Dugongs - behäbige Seekühe, die die Unterwasserweiden abgrasen.

Verkehrte Welt dagegen im Osten, wo die kilometerlangen Sandstrände nur an ganz wenigen Stellen von kleineren Vorgebirgen unterbrochen werden. In Küstennähe wechselt die Farbe des Wassers vom Indigo-Blauen der Coral Sea ins Türkise. Sanfte Wellen erschöpfen sich in müden Schaumkrönchen. Diese Schokoladenseite bekam flüchtig auch Captain James Cook zu Gesicht, als er im Jahr 1770 auf seiner ersten Weltumsegelung die Ostküste Australiens entlang nach Norden fuhr.

Da sich jedoch nur wenige Entdecker durch das tückische Great Barrier Reef wagten, wurde Hinchinbrook erst 50 Jahre später als Insel enttarnt. Seither ist das 400 Quadratkilometer große Eiland zwischen den Taucherparadiesen Cairns und Townsville von groß angelegter "Entwicklung" verschont geblieben. Sie schüttelt all ihre Gäste wieder ab, egal ob Wanderer mit einer begrenzten Aufenthaltserlaubnis oder solche, die sich dauerhaft anzusiedeln versuchen. Farmer, Plantagenbesitzer, Holzfäller und Missionare, die Aborigines christianisieren wollten: Alle haben vor Hinchinbrook kapituliert, weil die Einsamkeit zu überwältigend war oder die Märkte für die Produkte und Dienstleistungen zu weit entfernt. Der Busch hat sich alles zurückgeholt. 1932 wurden die ersten Gebiete unter Schutz gestellt. Mittlerweile ist die gesamte Insel ein Nationalpark. Nur einmal gaben die Behörden den Begehrlichkeiten der Tourismusindustrie nach und gestatteten 1978 die Errichtung einer "Eco-Lodge" am nördlichsten Punkt der Insel.

Die "Wildnis light" ist leicht erreichbar und doch unendlich weit von jeglicher Zivilisation entfernt. Zumindest auf dem Wanderweg wird man keinem Lebewesen begegnen, das außer Kontrolle gerät. Die hiesigen Schlangen gelten als scheu und gehören nicht zu den Reptilien Queenslands mit hundertfacher Overkill-Kapazität. Wasser, ansonsten auf den meisten Wanderungen in Australien ein Problem, lässt sich hier aus kristallklaren Bächen schöpfen. Selbst ein Elementarereignis wie ein tropischer Regenguss, der als graublauer Tupfen in der unteren rechten Ecke des Horizonts beginnt und schneller heranrast, als man seine Regenbekleidung auspacken kann, gerät zu einem Erlebnis mit hohem Spaßfaktor.

Und dennoch, verklären sollte man die Natur auch hier nicht. Noch klingen die Warnungen eines Park-Rangers vor einem wanderlustigen Krokodil, das ab und zu die Insel umrundet und in der Lagune des Zoe Creek Halt macht, im Ohr. Obwohl, und auch das wird betont, hier keinem Wanderer je ein Härchen gekrümmt wurde, ist dort ein drastisches Schild aufgestellt worden: Es zeigt auf gelbem Grund die aufgeklappten Kiefer eines "Saltie" dicht hinter einem anscheinend verzweifelt - und wahrscheinlich umsonst - beschleunigenden Badegast.

Angefangen von der Verpflegung für vier Tage über das Zelt bis zum Toilettenpapier hat alles in den Rucksack zu passen. Nach dem Grundsatz "Hinterlasse nichts außer deine Fußspuren" muss der anfallende Zivilisationsmüll auch wieder hinausgeschleppt werden. Mit einem Buchungssystem wird vermieden, dass mehr als 40 Wanderer gleichzeitig auf dem Thorsborne Trail unterwegs sind. Offene Feuer sind nicht erlaubt.

Wem dies zu viel an Natur bedeutet, der kann das Geschehen von der Peripherie aus genießen. Diesen Weg hat ein Pärchen aus Sydney gewählt, das mit zwei Koffern auf dem Pier von Cardwell angetanzt war und zunächst leicht verächtliche Blicke der "Bush-Walker" geerntet hatte. Bill und Samantha wollten im abgeschiedensten Luxusresort Australiens ihre Flitterwochen verbringen. So diskret haben die von den Umweltbehörden beaufsichtigten Busch-Architekten die "Tree Houses" des "Hinchinbrook Island Resort" in den Dschungel eingepasst, dass sie erst erkennbar werden, als das Boot die Anlegestelle beinahe erreicht hat.

Spuren der Entschleunigung sind bei Bill und Samantha erkennbar, als sie nach vier Tagen wieder an der Mole warten. Ihr Luxus, so erzählen sie, bestand darin, vier Tage lang vom Piepsen und Bimmeln der Mobiltelefone verschont geblieben zu sein und von der Veranda ihres Baumhäuschens stundenlang aufs Meer gestarrt zu haben. All das in der Gewissheit, am Abend ein Dach und ein Moskitonetz über dem Kopf zu haben und frische Meeresfrüchte statt Instantnudeln vorgesetzt zu bekommen.

Und ohne, auch das betonen sie lächelnd, nur den leisesten Gedanken daran verschwenden zu müssen, dass ein verdächtiges Rascheln vor dem Zelteingang ein Krokodil ankündigen könnte, das Einlass begehrt. (Der Standard/rondo/05709/2003) Infos: Ausgangspunkt ist Cardwell, ca. 2,5 Autostunden von Cairns bzw. Townsville entfernt. Von hier legen die Boote nach Hinchinbrook ab. Genehmigung zum Wandern erhält man von der Parkbehörde: Hichinbrook Island Resort, PO Box 3, Cardwell Queensland, Australia 4849, Tel.: 0061/7/4066 8585; www.hinchinbrookresort.com.au Weitere Informationen zum Wanderweg (Buchung obligatorisch): Queensland Parks and Wildlife Service, Cardwell Rainforest and Reef Information Centre, Victoria Street, Cardwell QLD 4849, Tel.: 0061/7/4066 8601; www.hinchinbrookferries.com.au