Mehr Langfinger im Supermarkt, mehr Taschlzieher in Straßen und Öffis: Im sicheren Österreich, der Insel der Seligen (wenn auch nicht mehr ganz), steigt die Zahl der Eigentumsdelikte. Gleichzeitig drängen sich in den Gefängnissen so viele Häftlinge wie noch nie: Ursache und Wirkung, könnte man meinen. Und angesichts von Fällen publik werdenden Jugendbandentums mag auch die steigende Inanspruchnahme der Jugendhäfentrakte logisch erscheinen: als Hinweis, dass sich die Gesellschaft vor dem kriminellen Risiko schützt.

Doch die Art und Weise, wie die Verdächtigten und die Täter ins Gefängnis geraten, gibt einiges zum Denken auf: Mit der Verhängung von Untersuchungshaft sind heimische Staatsanwälte und Richter rasch bei der Hand, sodass Österreich bei den U-Häftling-Zahlen im Europavergleich im obersten Drittel liegt. Für Haft als "short sharp shock" in überfüllten Zellen - eine Art abschreckende "g'sunde Watschen" für Delinquenten - bieten dehnbare Paragrafen wie jener, der die "Gewerbsmäßigkeit" einer Tat definiert, eine juristische Basis.

Schwarze Pädagogik und ihre Folgen

"G'sunde Watschen" (oder was man dafür hält) werden traditionell den Jüngeren, Schwächeren und Untergebenen angetragen. Das ist schwarze Pädagogik, und die Folgen können - wie man sieht - verheerend sein: Ein 14-Jähriger, der nach einem Diebeszug durch drei Supermärkte mit fragwürdiger Begründung hinter Schloss und Riegel gerät, wird einen tiefen Schreck erleben. Sind seine Mithäftlinge Schikanierer und Vergewaltiger, so fügt sich auch noch ein tiefes Trauma hinzu. Rühmt sich das zuständige Ministerium nach der Aufdeckung der brutalen Tat dann der funktionierenden "Krisenintervention", kommt auch der behördliche Zynismus nicht zu kurz. Alles in allem: ein Sittenbild mit akuter Verrohungsgefahr. (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe 4.9.2003)