Heinz Kienzl

Vor Wahlen herrscht Hochkonjunktur bei den Meinungsforschern. Ungeduldig und hektisch wie sie sind, wollen die Politiker Monate vor anstehenden Wahlen wissen, wie diese wohl für ihre Partei ausgehen werden. Die Demoskopen lassen sich auf eine Übung ein, die sie nicht erfolgreich zu Ende bringen können, denn es dürfte sich ja schon herumgesprochen haben, dass die Demoskopie alles Mögliche zu leisten imstande ist, nur eines nicht, Wahlen Monate, ja selbst Wochen vor ihrem Stattfinden vorauszusagen.

Da wird ein Politiker plötzlich krank, und die Wähler bekommen es mit Bedenken zu tun, ob man ihm wohl schwierige Aufgaben anvertrauen kann. Oder einem anderen Politiker fällt ein, dass er in Opposition geht, wenn die Wähler ihn nicht so lieben, wie sie es sollten, und dann wollen ihn die Wähler auf einmal nicht in der Opposition haben und überlegen es sich anders und strömen zu den Urnen.

Andreas Khol, wohl der klügste Politiker der ÖVP, ließ uns nach den Wahlen wissen, dass er darüber nachdenken werde, warum die Wahlen so ausgegangen sind wie sie nun einmal ausgingen, und was der Wähler eigentlich wollte. Das erinnert ein wenig an die alten griechischen Naturphilosophen, die durch langes Nachdenken und Diskutieren hofften, den Welträtseln endlich auf die Spur kommen zu können. Seit nunmehr etwa 500 Jahren bedient man sich jedoch in den Naturwissenschaften des Experiments und in den Sozialwissenschaften der Umfrageforschung, um rätselhafte Wählerentscheidungen besser verstehen zu können.

Licht ins Dunkel der Wählermotive

Inzwischen hat die Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft (SWS) etwas Licht in die Wählerentscheidungen gebracht. Zwar wurde uns am Wahltag von den Hochrechnern mit hin- und herfliegenden bunten Kasteln gezeigt, welche Richtung die Wählerströme eingeschlagen haben, aber warum sie dies taten, blieb im Dunkeln. Nun seit der Untersuchung der SWS wissen wir, dass die Wähler Parteien die Freundschaft aufgekündigt haben, weil sie gar keine Vorstellung davon mehr haben, welche Ziele die Politiker eigentlich verfolgen.
Für diese Antwortmöglichkeit entschieden sich immerhin 53 Prozent. Etwas geringer war der Prozentsatz, der über die Streitereien in den Parteien so verärgert war, dass er seine Sympathie einer anderen Partei zuwandte und überhaupt ins Lager der nicht engagierten Wähler hinüberwechselte. Das waren immerhin 45 Prozent.

40 Prozent der Wechselwähler erklärten, sie hätten die SPÖ deswegen verlassen, weil sie die sozialdemokratischen Grundsätze verletze. Bei den christlichen Grundsätzen waren es nur elf Prozent, und zwar ausschließlich ÖVP-Wähler. Sehr häufig wurde auch die Antwort "weil die Partei nichts zu bieten hat, wofür man sich begeistern kann" gewählt, und zwar von 48 Prozent.

Knackpunkt Ausländerfrage?

Manche Kommentatoren des Wahlergebnisses meinten, dass die Ausländerfrage der entscheidende Knackpunkt für den Wählerwechsel gewesen sei. Tatsächlich stand unter zwölf Antwortmöglichkeiten die Antwort "weil die Partei die Ausländerproblematik nicht ernst nimmt" an siebenter Stelle. Nur für 37 Prozent war sie wichtig, allerdings für 61 Prozent der SPÖ-Wähler, die zu den Freiheitlichen gewechselt hatten. Wäre der Innenminister nicht auf einen restriktiveren Kurs bei der Zulassung von Zuwanderern und Asylanten gegangen, hätte das die SPÖ wahrscheinlich noch zwei bis drei Prozent mehr gekostet.

Inzwischen sind dankenswerterweise Zeitungen und Zeitschriften aktiv und zahlungswillig geworden, und beauftragen Meinungsforschungsinstitute, den Wählerwillen hinsichtlich Regierungsbildung zu erkunden. Es gab unterschiedlich hohe Prozentsätze, die nur eines gemeinsam haben: Eine eindeutige Mehrheit der Österreicher will eine große Koalition. Auf das hätte man allerdings auch kommen können, ohne die Demoskopen besonders zu strapazieren, denn wie schon bei Friedrich von Schillers Wallenstein zu lesen ist: "Aus Gemeinem ist der Mensch gemacht, und die Gewohnheit nennt er seine Amme."

Dr. Heinz Kienzl, Generaldirektor der Österreichischen Nationalbank i.R. und Mitbegründer der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft, lebt in Wien.