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Foto: APA/dpa/Frank Leonhardt
Von seinem jetzigen Aufenthaltsort sagt seine Tochter: "Mein Vater wohnt in einer recht großen Zelle, die sogar Teppichboden hat. Es ist wie in einer Wohngemeinschaft. Er kocht oft für die Mitgefangenen Hähnchen mit Knödeln und arbeitet an einer Gefängniszeitschrift mit."

Der Vater ist aber weder Koch noch Journalist. Der in der Berliner Haftanstalt Tegel einsitzende Günther Kaufmann, 56 Jahre alt, 117 Kilogramm schwer, zuckerkrank, ist Film- und Fernsehschauspieler - und derzeit die Hauptfigur in einem der verwirrendsten Kriminalfälle Deutschlands. Er hatte im November des Vorjahrs gestanden, seinen Steuerberater Hartmut H. während eines Streits getötet zu haben, weil er sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Mann fallen gelassen habe, worauf der erstickt sei.

Nun stellte sich heraus, dass dieses Geständnis so nicht stimmen kann, Kaufmann selbst hat es widerrufen. Warum er, offenbar schuldlos, 15 Jahre Haftstrafe akzeptiert hat, weiß vorerst nur er. Gerüchte und Vermutungen dazu gibt es zuhauf.

Hartnäckig hält sich etwa die Annahme, der als "sensibler Bohémien" beschriebene Mime schütze mit seiner Aussage seine (erwachsenen) Kinder Dave und Eva, die Drohungen aus dem Rotlichtmilieu erhalten hätten. Aus diesem Milieu kommen drei Männer, die nun der Tat verdächtigt werden. Sie sollen von Kaufmanns Frau Alexandra mit der Tötung des Steuerberaters beauftragt worden sein, nachdem dieser Alexandra wegen eines riesigen Betrugs an ihm anzeigen wollte.

Tochter Eva Kaufmann selbst sagt, ihr Vater wollte "seine heiß geliebte Alexandra schützen". Die Schriftstellerin war fast zehn Jahre mit dem Schauspieler verheiratet, voriges Jahr starb sie an Krebs; für Günther Kaufmann ein tiefer Schock, denn auch seine erste Frau (aus dieser Ehe stammen die Kinder) war an Krebs gestorben.

Fast scheint es, als nutze Günther Kaufmann seine von Rainer Werner Fassbinder entdeckten Talente für seine jetzige "Rolle" als geheimnisvoller Schweigsamer. In Fassbinder-Filmen wie "Berlin Alexanderplatz", "Lola" oder "Die Ehe der Maria Braun" machte er durch unaffektierte Präsenz Eindruck. Seine Auftritte in TV-Krimiserien ("Derrick", "Der Alte"), die er bis vor einigen Jahren absolvierte, haben Millionen Zuschauer gesehen. Sie kannten sein Gesicht, aber nicht alle hätten sich an seinen Namen erinnern können.

Das ist mit dem Prozess im Vorjahr schlagartig anders geworden. Und seine mimische Kraft lobte sogar der Vorsitzende dieses Prozesses, Jürgen Hanreich, wenn auch zynisch. Auf Kaufmanns verzweifelte Worte, "Das glaubt mir kein Mensch, dass ich dem nichts tun wollte", höhnte Hanreich: "Er kann sehr schön artikulieren. Sehr bewegend sogar." (Klaus-Peter Schmidt/DER STANDARD; Printausgabe, 29.8.2003)