München/Frankfurt/Berlin - Die Anhörung des britischen Premierministers Tony Blair vor dem Kelly-Untersuchungsausschuss steht am Freitag im Zentrum von Pressekommentaren.

"Süddeutsche Zeitung":

"Die Aussage des britischen Premierministers hinterlässt kein Gefühl der Befriedigung. Tony Blair trug weder dazu bei, dass der Wust an Informationen und Beschuldigungen gelichtet worden wäre. (...) Zwei Dinge stechen allerdings hervor: Blairs Einordnung des Irak-Dossiers und die Bedeutung der Medien im Leben des Premiers. Der Geheimdienstbericht zur Bedrohung durch Saddam Hussein war - wie Blair sagt - in der Tat keine versteckte Kriegsbegründung. Zu diesem Zeitpunkt bewegte sich die politische Debatte erst auf Europa zu. Blair wollte ein möglichst breites Bündnis gegen Saddam - auch um den amerikanischen Alleingang und den Bruch mit Europa zu verhindern. Das Dossier diente als Art Alarmruf. Ein Krieg war noch nicht zwingend in Sicht. Wenn dies so war, dann ist es erstaunlich, warum der Premier geradezu panisch auf den Vorwurf der Übertreibung reagiert hatte. Wenn in der Sache nichts übertrieben war, warum sollte er sich dann schlotternd vor den anonymen Behauptungen eines Beamten fürchten, statt sie gelassen abzuwettern. Hier liegt der Widerspruch: Der Premier gibt sich souverän, in der Sache unbeirrt. Im Umgang mit der Öffentlichkeit und den Medien ist er hingegen besessen. Seine Manie geht so weit, dass er sich persönlich um die Einschüchterung und Enttarnung einer Medienquelle kümmert und dabei jedes Gespür für die Proportion verliert. David Kelly hatte das Pech, dass er in die Öffentlichkeitsmaschine des Premierministers geraten war. Da aber vergisst Blair alle Gelassenheit und lässt die Terrier von der Leine."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Blair liebt es zuweilen pathetisch. Nun, da der britische Premierminister in Bedrängnis geraten ist, hat er wieder Zuflucht zu diesem Mittel genommen. Der Bericht der BBC, in dem seine Regierung beschuldigt worden war, den Inhalt eines Geheimdienstdossiers zum Thema irakischer Massenvernichtungswaffen aufgebauscht zu haben, habe einen fundamentalen Vorwurf enthalten, sagte er vor dem Untersuchungsgremium zum Selbstmord des Wissenschaftlers David Kelly. Wären die Anschuldigungen zutreffend gewesen, hätte er zurücktreten müssen. In der zwar schlüssigen, aber gewagten Logik des Premierministers folgt daraus: Da er nicht zurückgetreten ist, müssen die Anschuldigungen falsch sein. Dies ist aber noch nicht erwiesen, das Gegenteil freilich auch nicht. Unangenehm für die Regierung ist nun der Eindruck, sie habe bei der hektischen Suche nach der Quelle für den BBC-Bericht einen verdienten Wissenschaftler an die Öffentlichkeit gezerrt und ihn damit zum Selbstmord getrieben."

"Der Tagesspiegel":

"Man kann im Internet in allen Details nachlesen, wie Blairs Kommunikationschef Alastair Campbell und die Nachrichtendienste um die Formulierungen im Irak-Dossier feilschten, wie Blair-treue Minister die BBC unter Druck setzten, wie die BBC die Proteste aus Downing Street arrogant vom Tisch fegte (...) Hier kämpft jeder um seine Reputation, um seine Version der Ereignisse. Aber was zu Tage kommt, ist anderes: die Präsentationsstrategien, mit denen Downing Street im Niemandsland zwischen Überzeugungspolitik und Propaganda den Irak-Krieg vorbereitete, die Interaktion zwischen Presse und Regierenden, von der eine solche Regierung auf Gedeih und Verderb abhängt. Wo, fragt sich nun Lord Hutton und mit ihm die Briten, hören in diesem Drama die Fakten auf, und wo beginnt der 'Spin'? Was ist Wahrheit, was Aufschneiderei und was schlicht gelogen? War es unausweichlich, dass Kelly, nur weil er gerne aus seinem düsteren Büro in einem dieser machtvollen Whitehall Blocks herausging und mit Journalisten plauderte, im Räderwerk dieser Macht aufgerieben wurde?" (APA)