Eine weibliche Angestellte Anfang 30 muss sich im Durchschnitt mit nicht einmal der Hälfte des Lohns ihres Kollegen Ende 50 begnügen. Die Lohn- und Gehaltsunterschiede zwischen Jung und Alt sind unverständlich groß, vor allem in Anbetracht der immer höheren Bildungsabschlüsse der jungen ArbeitnehmerInnen. Frauen verlieren durch Unterbrechungen im Erwerbsleben (Kinderbetreuung) den Anschluss an die ohnehin höheren Männergehälter, und da ihnen die nötigen Jahre im Beruf fehlen, holen sie den Rückstand nicht auf.

Nun macht es durchaus Sinn, erfahrenere Arbeitskräfte besser zu entlohnen. Der Wert der Erfahrung wird nur allzu oft unterschätzt. Doch ist es unbestreitbar, dass die Lernkurve zu Beginn rasch ansteigt, weil Neues gelernt und Erfahrung tradiert wird und später abflacht. Darüber hinaus sind jüngere MitarbeiterInnen üblicherweise mit neuen Technologien eher vertraut oder eignen sich Kenntnisse rascher an. Dementsprechend sollte auch die Lohnkurve zu Beginn des Erwerbslebens wesentlich rascher wachsen und das Wachstum später abflachen.

Verschärft wird die Situation durch die Pensionsreform. Die Pensionshöhe hängt durch den 40-jährigen Durchrechnungszeitraum auch vom Verdienst in jungen Jahren ab. Die Deckelung der Verluste gilt zudem für junge ArbeitnehmerInnen nicht. Die Zeiten schlechter Entlohnung in jungen Jahren führen zu geringen Pensionen. Nur rasch verwirklichte massive Lohnerhöhungen für jüngere ArbeitnehmerInnen können einen Teilausgleich und mehr Gerechtigkeit schaffen. Das verlangt auch die ab 2004 gültige EU-Richtlinie zur "Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf", die ein Verbot der (Lohn-)Diskriminierung aufgrund des Alters vorsieht.

Gut für die Wirtschaft

Für die Konjunktur ist eine kräftige Lohnerhöhung für junge ArbeitnehmerInnen eine längst überfällige Spritze. Junge Menschen haben üblicherweise eine Reihe von Anschaffungswünschen, und die Familiengründung fällt häufig in diese Lebensphase: Kinder, Wohnung, Einrichtung und ein hohes Mobilitätsbedürfnis führen dazu, dass junge Menschen im Durchschnitt wenig sparen. Einkommenszuwächse werden konsumiert und kurbeln die Wirtschaft an, während ältere Menschen im Durchschnitt eine höhere Sparneigung aufweisen. Lohnerhöhungen unterstützen die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, da Kranken- und Pensionsversicherungsbeiträge mit den Löhnen steigen. Ältere ArbeitnehmerInnen profitieren von Lohnerhöhungen für Jüngere, indem sie vor einer lohnbedingten Verdrängung aus dem Arbeitsmarkt – also vor Altersarbeitslosigkeit – besser geschützt sind.

Ältere müssen deshalb aber keine Einbußen in der Lohnentwicklung befürchten, denn Spielraum für höhere Löhne ist reichlich vorhanden. Der Spielraum, den sich die ArbeitnehmerInnen in den letzten Jahren – im wahrsten Sinne des Wortes – erarbeitet haben, sollte nun für die Jüngeren und Frauen genutzt werden.

Österreichs Lohnentwicklung ist im Vergleich zur EU seit Jahren bescheiden. Im vergangenen Jahr war Österreich sogar europäisches Schlusslicht. Hingegen wuchs die Produktivität rasch. Die Lohnstückkosten – – sinken seit vielen Jahren.In keinem anderen hoch entwickelten Land und in keinem unserer östlichen Nachbarstaaten sind die Lohnstückkosten in Industrie und Gewerbe – das sind die Arbeitskosten je produzierter Einheit, ein sehr bedeutender Indikator für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit eines Landes – seit Mitte der neunziger Jahre so stark gesunken wie in Österreich. Die steigende internationale Wettbewerbsfähigkeit machte Österreich im vergangenen Jahr zum Europameister bei den Exporten: Kein Land der EU konnte seine Ausfuhren so stark steigern wie Österreich.

Gleichzeitig schleppen wir uns seit drei Jahren am Rande der Rezession dahin. Dass Österreich seit 2001 von der wirtschaftlichen Überholspur auf den Pannenstreifen gewechselt hat, liegt an der schwachen Inlandsnachfrage, die durch das gefährliche Gemisch einer prozyklischen Wirtschaftspolitik, einer Steuerpolitik, die tief in die Taschen der ArbeitnehmerInnen greift, und bescheidenen Lohnabschlüssen gebremst wird. Als Ergebnis dessen ist das Nettoeinkommen pro ArbeitnehmerIn 2003 deutlich geringer als noch 2000.

Aus für Bescheidenheit

Die Lohnpolitik in Österreich war traditionell vom Grundkonsens der Verteilungsneutralität getragen. ArbeitnehmerInnen wurde Inflation und Produktivitätsfortschritt abgegolten. Damit ändert sich die Verteilung zwischen Arbeit und Kapital nicht. Diese traditionelle Bescheidenheit ist längst Vergangenheit. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts verschiebt sich seit Beginn der 80er-Jahre das Volkseinkommen von den Löhnen zu den Einkommen aus Besitz und Unternehmung. Aus den Fakten wird deutlich, dass kräftige Lohnerhöhungen für Junge nicht nur wünschenswert, sondern aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit, der Wirtschaftsbelebung und der Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme notwendig sind. Dafür gibt die hohe und seit Jahren steigende internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft den nötigen Spielraum. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 28.8.2003)