Weder ist der auf die Schnelle ins diesjährige Salzburger Festspielprogramm implantierte Stockhausen-Event auf dem Salzburger Flughafen einer abermaligen Erwähnung wert, noch Hubert Lepkas Taurus-Rubens -Spektakel, das diesem dann folgte. Stärker auffällig ist in diesem Zusammenhang schon das Verweigerungsgehabe, mit dem das Publikum auf Stockhausen und die Schar der so genannten Moderne-Insider auf Hubert Lepka reagierte.

Zur behelfsmäßigen Erklärung dieses Phänomens mag eine jüngst veröffentlichte Studie über das Sexualverhalten der Europäer dienen, der zufolge sich insbesondere die Deutschen im Bett von ihren Partnern oder -innen besonders gerne durchhauen lassen.

Da nicht nur der partnerschaftliche Umgang in Amors Gefilden sehr viel mit Emotion zu tun hat, sondern auch jener mit Kunst, liegt der Schluss nahe, dass eine deftige Portion Un- gemach besonders im deutschsprachigen Raum zum Postulat an die Gegenwartskunst geworden ist, dem diese auch nach Kräften Rechnung trägt.

So wird es schon leichter erklärlich, dass die - ästhetisch - leidenswillige Maso-Klientel Karlheinz Stockhausens Trommelfellattacken geduldig ertrug, bei der sich in freiere Bezirke der akustischen Theatralik vorwagenden Taurus Rubens-Performance zum Großteil durch Abwesenheit glänzte. Während jener Teil der Anwesenden, die mangels Training keinerlei Leidenswillen verspürten, bei Stockhausen davonlief, bei Lepka aber (obendrein noch stehend) weit länger als eine Stunde ausharrte.

Daraus lässt sich folgern, dass die Gralshüter der etablierten Moderne auf sehr manifeste Weise gewissen Schablonen der Kunstpräsentation eingeschworen sind, die sie für künstlerische Vorgänge, die sich außerhalb derselben vollziehen, unzugänglich machen. Während die abschätzig als Geld- oder Society-Pöbel bezeichneten, so genannten Banausen mit derlei Ausbrüchen aus der Konvention offenbar weit weniger Probleme haben.

Dies führt zur ebenso müßigen wie unausweichlichen Frage, was Theater im weitesten Sinn denn sein muss - oder gar sein darf. Sind Theater, Täuschung, Rührung und Illusion tatsächlich nur auf einer Bühne vor wehrlos gefesselten Zuschauern möglich? Oder gibt es nicht auch andere Orte der Täuschung, von Rührung und Illusion?

Ist nicht der Alltag längst schon zur medial transportierten, unaufhörlichen Tragödie geworden? Kann sich das Theater auch in seiner avanciertesten Form gegenüber den täuschenden Großdarstellern aus Politik und Wirtschaft überhaupt behaupten?

Von keinem Mimenantlitz, auch nicht von jenem eines Voss oder Brandauer, könnte man jemals den aussichtslosen Kampf besseren Wissens und Gewissens gegen den unmenschlichen politischen Auftrag, den es zu erfüllen gilt, besser und mit größerer Erschütterung ablesen als vom Gesicht des US-Außenministers in jenen Augenblicken, als der schwedische Waffeninspektor den Irak vor dem UNO-Sicherheitsrat ein letztes Mal besonnen und glaubwürdig entlastet hat.

Auch die größten Kunstpuristen müssten zugeben, dass der Irak oder auch Afghanistan heute anders dastünden, wäre dort in jedem Militärhubschrauber ein Geiger gesessen, der Stockhausens Noten exekutierte, und hätte jedes Kampfflugzeug keine andere Aufgabe gehabt, als einen antiken Gott zu mimen, wie die Draken und Eurofighter in Hubert Lepkas Schau.

Unter diesem Aspekt gewinnt der Einbezug von Waffen in das Instrumentarium der Kunst beinahe befreienden Charakter. Besser Aufmärsche von Choreografen als von Generälen.

Allen Theaterfetischisten sei in Erinnerung gerufen, dass man noch zur Barockzeit während der Opernaufführung plaudernd und essend durch den Zuschauerraum schlenderte und nur gelegentlich den Darbietungen lauschte. (DER STANDARD; Printausgabe, 27.08.2003)