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Wie schon am Donnerstag protestierten auch am Freitag tausende Menschen in mehreren Städten und im Unglücksort Soma gegen die türkische Regierung.

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Massengräber in Soma.

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Soma - Nach dem größten Bergwerksunglück in der Geschichte der Türkei wächst der Druck auf Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der mit Polizeigewalt dagegenhält. Ein Großaufgebot von Staatsanwälten soll indes nach Schuldigen an der Katastrophe suchen. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) habe als oberstes Aufsichtsgremium 28 Staatsanwälte auf den Fall angesetzt, berichteten türkische Fernsehsender am Freitag.

Energieminister Taner Yildiz sagte, in den Stollen der westtürkischen Stadt Soma würden noch 18 Männer vermisst. Die Zahl der gefundenen Toten stieg drei Tage nach dem Unglück auf 284. Gegen die Regierung und insbesondere gegen Erdogan richtete sich neue Kritik. Ihm wurde vorgeworfen, er habe einen jungen Mann im Unglücksort geohrfeigt.

Erdogan wird handgreiflich

Die Szene wurde auf einem Video festgehalten sein - allerdings ist die Sequenz verwackelt, sodass Erdogans Verhalten nur undeutlich zu erkennen ist (etwa bei Minute 1:56).

Erdogan war bei seinem Auftritt in Soma von einer Menschenmenge ausgebuht und ausgepfiffen worden. Sicherheitskräfte bahnten ihm den Weg durch Demonstranten in ein Geschäft. Dort kam es zur Konfrontation mit dem jungen Mann. Dieser sagte, der Ministerpräsident habe ihn unbeabsichtigt geschlagen, weil dieser wütend auf die Demonstranten gewesen sei und die Kontrolle verloren habe. "Ich werde den Herrn Ministerpräsidenten nicht anzeigen. Ich erwarte nur eine Entschuldigung", sagte Taner Kuruca.

Ein Berater Erdogans entschuldigte sich inzwischen für Tritte auf einen am Boden liegenden Demonstranten. "Der Zwischenfall am Mittwoch in Soma tut mir sehr leid", sagte er. Wegen "Provokationen, Beleidigungen und Angriffen" habe er die Selbstbeherrschung verloren.

Gummigeschoße gegen Demonstranten

Oppositionspolitiker und Internetaktivisten empörten sich über die Vorfälle und forderten den Rücktritt der Regierung. Sie werfen ihr vor, den wirtschaftlichen Aufschwung auf Kosten der Arbeitssicherheit vorangetrieben zu haben. Auf einem Transparent war zu lesen: "Keine Kohle kann die Kinder der Väter wärmen, die im Bergwerk gestorben sind."

Rund 10.000 Demonstranten waren in Soma auf die Straße gegangen und hatten versucht, zu einem Denkmal für Bergleute in Zentrum der Stadt zu marschieren. Dort waren sie von der Polizei aufgehalten und mit Tränengas und Gummimantelgeschoßen empfangen worden.

Kritik aus Deutschland

Der Kritik an Erdogan schloss sich am Freitag die Türkische Gemeinde in Deutschland an. Sollte sich herausstellen, dass Erdogan bei seinem Auftritt nach dem Grubenunglück in Soma tatsächlich einen jungen Mann geohrfeigt hat, müsse er zurücktreten, sagte Co-Vorsitzender Gökay Sofuoglu.

"Wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten, müsste es Konsequenzen geben. Dann müsste Erdogan sich entschuldigen und zurücktreten", sagte Sofuoglu. "Ein Staatsmann muss seine Aggressionen unter Kontrolle haben. Ein Staatsmann darf nicht handgreiflich werden. Das geht nicht."

Betreiber weist Vorwürfe zurück

Wie Erdogan wies die Betreibergesellschaft Soma Holding am Freitag erneut Vorwürfe zurück, es habe Unregelmäßigkeiten gegeben. Die Unfallursache werde noch untersucht. Es habe sich aber gezeigt, dass die Explosion - anders als zunächst vermutet - nicht von einem defekten Trafo ausgelöst worden sei. Erdogans Regierungspartei AKP wolle das Unglück nun vom Parlament untersuchen lassen, berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu.

Nach Angaben der Soma Holding vom Donnerstag wurden 450 Kumpel lebend gerettet. Zusammen mit den Toten und den am Freitag genannten 18 Vermissten hätten sich demnach maximal 752 Arbeiter in dem Bergwerk aufgehalten. Zunächst hatte der Energieminister von 787 Bergleuten gesprochen. (APA/red, derStandard.at, 16.5.2014)