Gerrit Heinemann: "Wir sind völlig verwöhnt. In den Zeiten vor Amazon haben wir akzeptiert, wenn ein Versand zehn Tage gedauert hat. Heute akzeptieren wir es nicht mehr, wenn es länger dauert als 48 Stunden. "

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Ein stationärer Händler hat für den Experten immer noch die Chance, einen großen Teil des Umsatzes im Internet im eigenen Unternehmen zu halten - "wenn er es richtig macht".

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Der stationäre Handel muss sich laut Gerrit Heinemann auf das Zeitalter des Online-Shoppings und emanzipierte Kunden einstellen. Das wird aber nur klappen, wenn auch die Geschäftsflächen neu erfunden werden, sagte er zu Franziska Zoidl.

STANDARD: Wird es in Zukunft überhaupt noch Shoppingcenter geben, oder läuft dann alles online?

Heinemann: Um Gottes willen. Es wird mehr online sein, aber nicht alles. Und Innenstädte können sich von Shoppingcentern einiges abschauen.

STANDARD: Was denn?

Heinemann:  Das professionelle Center-Management etwa. Die haben die Möglichkeit, über die Vertragsgestaltung mit den Mietern Einfluss zu nehmen und diese zu bestimmten Dingen zu verpflichten. Etwa zu einer Kooperation, um zu zeigen: Eigentlich sind wir effizienter und näher am Kunden als ein Amazon-Lager. Man könnte beispielsweise eine gemeinsame Abholstation für Pakete organisieren.

STANDARD: Welche Probleme kommen auf Einkaufszentren zu?

Heinemann: Es wird einen beträchtlichen Umsatzrückgang geben. 15 bis 25 Prozent der Flächenumsätze von Non-Food werden bis 2020 ins Internet abwandern. Das daraus entstehende Kostenproblem müssen stationäre Händler lösen - sonst geht es ihnen an den Kragen. Ein Ansatz wäre, Flächen in Showrooms umzuwandeln. Aber man wird auch über das Tabuthema Miete und neue Mietmodelle reden müssen. Vielleicht über eine Art Frequenzmiete: Wenn ich nachweisen kann, dass ich mehr Frequenz habe als ein anderes Center, dann kostet das mehr. Es könnte auch ein Cost-Plus-Modell geben, bei dem man eine Basismiete bezahlt oder sich kostenmäßig an Angeboten wie gemeinsamen Plattformlösungen beteiligt.

STANDARD: Umsatzrückgang bedeutet leere Flächen. Was tun?

Heinemann: Man kann stärker auf Gastronomie oder Fitness setzen, oder Abholstationen und Servicepoints.

STANDARD: Besonders Bekleidung und Schuhe sind beliebt in Onlineshops. Aber welche Probleme gibt es in diesen Sektoren online?

Heinemann: Es besteht Verbesserungsbedarf in der Produktdarstellung, die überwiegend schlecht ist. Viele Onlinehändler fangen an, Tools bereitzustellen, um das Größenproblem zu lösen. In Zukunft wird Beratung aus dem Laden per Videolivechat eine Möglichkeit sein, mit der der stationäre Handel online punkten kann. Die Möglichkeiten, die dieser online hat, sind größer als jene der reinen Online-Konkurrenz.

STANDARD: Warum?

Heinemann: Viele Kunden kommen schon jetzt in das Geschäft, um etwas anzuprobieren, kaufen es aber dann zu Hause im Internet. Händler nennen solche Kunden dann "Beratungsdiebe", aber das heißt doch auch im Endeffekt, dass ein stationärer Händler die Chance hat, einen großen Teil des Umsatzes im Internet im eigenen Unternehmen zu halten - wenn er es richtig macht. Allerdings nur, wenn er sich loslösen kann vom verkrampften Gedanken, dass Umsatz auf der Fläche gemacht werden muss. Die Kunden möchten gar nicht mehr zwischen diesen Kanälen unterscheiden. Der stationäre Handel muss deswegen quasi neu erfunden werden.

STANDARD: Aber ist Einkaufen nicht auch ein sozialer Akt?

Heinemann: Damit suggeriert man, dass dieser soziale Kontakt den Kunden etwas gibt. Ich behaupte: In den meisten Fällen ist das nicht so. Wer geht denn heutzutage zum Hofer des sozialen Aspektes wegen? Vor den Selbstbedienungskassen sind die längsten Schlangen. Und warum? Weil die Kunden nicht in ein schlechtgelauntes Gesicht schauen wollen. Da muss der Handel umdenken und sagen: wenn Beratung, dann exzellent. Viele Kunden brauchen das auch gar nicht, weil sie sich anderswo informieren. Dann möchte der Kunde aber auch die Fairness und sagt sich: Wenn ich diesen Beratungsservice nicht in Anspruch nehme, warum soll ich dann dafür bezahlen? Der Kunde ist mittlerweile emanzipiert geworden.

STANDARD: Sie bezeichnen Kunden als "unangenehme Zeitgesellen". Sind wir wirklich so schlimm?

Heinemann: Wir sind völlig verwöhnt. In den Zeiten vor Amazon haben wir akzeptiert, wenn ein Versand zehn Tage gedauert hat. Heute akzeptieren wir es nicht mehr, wenn es länger dauert als 48 Stunden. Das lässt sich auch nicht zurückdrehen. Aber entweder man führt gegen den Kunden Krieg oder man akzeptiert das und ändert sich.

STANDARD: Müssen sich auch Supermärkte anpassen?

Heinemann: Auf den reinen Foodbereich bezogen hat Online einen Anteil von einem Promille, also quasi null. Selbst wenn sich das bis 2020 verzehnfacht, ist das noch immer kein Thema. Aber Lebensmittelhändler betrifft die Digitalisierung trotzdem. Die müssen ihr Sortiment im Internet professionell abbilden und nicht immer nur gedruckte Prospekte verschicken, die sich niemand mehr anschaut.

STANDARD: Wo liegt Österreich im Onlinehandel international?

Heinemann: In Österreich sind rund 50 Prozent des Online-Einzelhandelsumsatzes importiert, in Deutschland zehn. Wer meint, Onlinehandel sei kein Thema, dem muss klar sein: Der Kunde sieht das völlig anders. Viele Onlineshops aus Großbritannien haben schon eine deutsche Website. Wenn wir uns nicht beeilen, dann wird sich dieses Geschäft der ausländische Onlineshop holen, und dann werden wir Einzelhandelsumsatz importieren, was es früher überhaupt nicht gab. Deswegen muss man dem etwas entgegensetzen, weil man es nicht verändern kann. Idealismus, Predigen und Umerziehen bringt nichts. (DER STANDARD, 17.5.2014)