Die erste TV-Direktkonfrontation aller fünf Spitzenkandidaten um das Amt des nächsten EU-Kommissionspräsidenten war eine komplexe, durchwachsene Sache. Wer sich harte Wortgefechte der Kontrahenten und wechselseitige Angriffe erwartet hatte, dürfte in der Nacht auf Freitag enttäuscht gewesen sein. Dafür war dieses formal strenge Format, das von Dutzenden TV-Stationen in ihren Infosendern und im Internet übertragen wurde, nicht gemacht.

Es sollte der Vorstellung von Persönlichkeiten dienen, die ihre Ideen und die ihrer Parteien für die Europäische Union für die nächsten fünf Jahre präsentieren können, und die Unterschiede aufzeigen. Einwände gegen einen Rivalen waren nur mit "Bluecard" erlaubt, also auch das streng reglementiert, so wie die Zeit von 90 Sekunden für Antworten in den einzelnen Fragenkomplexen.

Spannung genommen

Eine solche Struktur nimmt einer Wahlkonfrontation natürlich Spannung. Umso mehr, als jeder in der Sprache reden durfte, die er wollte. Eine vom EU-Parlament gestellte hochprofessionelle Truppe von Simultandolmetschern sorgte dafür, dass die Zuschauer in allen Amtssprachen der Union zuhören konnten, Englisch, Französisch und Griechisch wurde in fast zwei Dutzend Sprachen übersetzt.

Was sich Ska Keller, Jean-Claude Juncker, Martin Schulz, Guy Verhofstadt und Alexis Tsipras fast bis Mitternacht auf dieser Basis dann lieferten, war daher eine Mischung aus US-Wahlkampf um die Präsidentschaft, Plenardebatte im Europäischen Parlament und Konzertveranstaltung vor großem (begeistertem) Saalpublikum. Hätte man sie in ein ganz normales Fernsehstudio gesetzt, wäre das ganz anders verlaufen, dichter, körperintensiver.

Unterschied zu USA

Vielleicht wird man das in späteren Zeiten, wenn Europa die Demokratie mehr ausbaut und solche Wahlkonfrontationen über die Grenzen hinweg selbstverständlich sein werden, einmal auch machen. Aber so weit sind wir Europäer nicht. Auf diesem Kontinent muss erst gelernt werden, wie man eine Gemeinschaft von 507 Millionen Bürgern auf einen Nenner von Wahlkampf und (Kommissions-)Präsidentenwahl bringt. Für US-Bürger wäre es kein Problem, dass die Präsidentschaftskandidaten in ein sehr strenges Befragungskonzept durch einen Moderator gezwängt werden. Bei Mitt Romney und Barack Obama war 2012 jede Sekunde durchkomponiert. Die wollten einander nicht einmal anschauen.

So gesehen war die Premiere des TV-Duells für die Europawahl mit ausnahmslos allen Spitzenkandidaten – die Rechtspopulisten und die EU-Skeptiker haben keinen aufgestellt – fast schon lebhaft.

Positive Überraschung Ska Keller

Gemessen an den Erwartungen gab es eine positive Überraschung, und die hieß Ska Keller. Die junge Grüne aus Deutschland, die im EU-Parlament bisher nicht ganz so souverän wirkte, zeigte sehr starke Präsenz. Sie spielte ihre grünen Themen frontal aus, sie war es auch, die als Erste eine Bluecard zückte und Verhofstadt bei einem Wirtschaftsthema "stellte". Jüngere Generationen tun sich leichter mit solchen TV-Formaten, die auch noch von Social Media umspült werden, wo es gilt, in wenigen Worten und Sekunden sehr komplizierte Sachverhalte zu formulieren.

Am schwersten tat sich damit offensichtlich Jean-Claude Juncker, der sehr zurückhaltend wirkte - bei jemand mit 19 Jahren Regierungscheferfahrung nicht unbedingt zu erwarten. Möglicherweise wollen seine Berater aber gerade das, das Staatsmännische und Ausgleichende hervorstreichen, ist er doch einer von zwei echten Favoriten für das Amt des nächsten Kommissionschefs.

Zwischen diesen beiden Polen - Keller und Juncker - pendelten Schulz, Tsipras und Verhofstadt. Aber auch an denen ließen sich zahlreiche Unterschiede festmachen im Zugang zu Europa. Erwartungsgemäß stellte der Kandidat der Linken in fast allem den Wirtschaftskurs Europas als Ursache der Krise ins Zentrum, kam öfter auf seine Heimat Griechenland und die Eurokrise zu sprechen. Schulz wiederum spielte einmal mehr den Sozi in sich aus, den Vertreter der Normalbürger, der einfachen Leute, die durch die allzu unsoziale Politik in Europa unter die Räder kommen. Denen und generell den Bürgern will er in Brüssel mehr Rechte geben.

Verhofstadt ein eigener Fall

Guy Verhofstadt ist wiederum ein eigener Fall. Er war neun Jahre lang Regierungschef in Belgien, hat sich stilistisch aber den Jungen angeglichen, tritt als Löwe im Ring auf. Er hatte auch den größten Mut, auch auf den ersten Blick allzu visionäre Ziele für die EU anzusprechen, er will nach dem Binnenmarkt einen zweiten großen Sprung der Union zu viel mehr Integration machen.

Unterm Strich bot sich ein Panoptikum der europäischen Politik, bei dem nur jene fehlten, die die Union zerschlagen, mindestens aber zurückbauen wollen. Es wäre interessant gewesen zu sehen, wie eine Marine Le Pen in dieser Runde gewirkt hätte oder ein Harald Vilimsky oder sogar ein Andreas Mölzer.

Wie schon beim Zweierduell von Schulz und Juncker im deutschsprachigen Fernsehen waren sich diesmal alle fünf Spitzenkandidaten absolut einig, dass nur einer von ihnen zum künftigen Kommissionspräsidenten gewählt werden wird. Jeden anderen Kandidaten würde das Parlament ablehnen, so der Tenor. Schulz sagte: "Einer von uns wird der nächste Kommissionspräsident", und Juncker erklärte dazu, es wäre "eine Verneinung der Demokratie", wenn die Staats- und Regierungschefs den Willen der Wähler missachteten. Eine Kampfansage an die nationalen Regierungen also, direkt aus dem Brüsseler Plenarsaal des Parlaments, live zur besten Sendezeit, in alle EU-Sprachen übersetzt. Nach dem 25. Mai wird das spannend. (Thomas Mayer, derStandard.at, 16.5.2014)