Victoria Broackes und Geoffrey Marsh, die Kuratoren der David-Bowie-Retrospektive im Victoria and Albert Museum in London, wählten aus 75.000 Objekten 300 Ausstellungsobjekte aus. Einige dieser Objekte haben auch mit Bowies Zeit in Berlin zu tun.

Foto: The David Bowie Archive / Masayoshi Sukita

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Vom 20. Mai bis zum 10. August 2014 ist die internationale David-Bowie-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen. Sie wurde vom Victoria and Albert Museum kuratiert und gilt als eine der erfolgreichsten Ausstellungen in der Geschichte des Londoner Museums. Info: www.davidbowie-berlin.de

Die Berlin Musictours bieten ganz unterschiedliche thematische Führungen an, auch zu Bands wie U2 oder Depeche Mode. Gerade beim Thema Bowie lohnt sich ein kundiger Guide, denn die Stationen seines Berliner Lebens sind ohne Kommentar nur teilweise interessant. Info: www.musictours-berlin.de

Foto: Reuters / Tobias Schwarz

David Bowie bei Aufnahmen mit Tonmeister Eduard Meyer im Berliner Meistersaal, Anfang der 1980er-Jahre.

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Die Innenansicht des heutigen Meistersaals.

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Von Wien nach Berlin gibt es fünf oder mehr Flüge täglich, u. a. mit Austrian, Air Berlin oder Germanwings. Die sogenannte Berlin Welcome Card lohnt sich für jene, die häufig die Öffis benutzen und viele Museen besuchen wollen.

Eine 48-Stunden-Variante kostet zum Beispiel 18,50 Euro. Online-Bestellung und weitere Infos unter: www.visitberlin.de
Unterkunft: Explizit nach einer Unterkunft mit Bowie-Bezug zu suchen lohnt sich nicht.

Die Auswahl der Hotels ist größer am Potsdamer Platz, darunter das Ritz Carlton, Grand Hyatt oder Mandala. Dabei liegt der Platz noch in relativer Nähe zu den Bowie-Schauplätzen.

Foto: VisitBerlin

Hauptstraße 155, Berlin, Bezirk Schöneberg. Es ist schwer vorzustellen, dass in diesem abweisenden Altbauklotz ein Gefühl der Freiheit aufkommen kann. Der fünfgeschoßige Bau ist eingeklemmt zwischen anderen Altbauten, die Fassade irgendwann abgeschlagen worden, vor dem Haus verläuft die laute, mehrspurige Hauptstraße, und in den Hinterhof gelangt nur selten Sonne. Doch von dieser Adresse hat David Bowie in einem Interview einmal behauptet: "Die vergesse ich niemals. Das waren sehr wichtige Jahre in Berlin. Es war in so vieler Hinsicht befreiend für mich, in Berlin zu leben."

Zusammen mit seiner Assistentin Coco Schwab und dem Rockmusiker Iggy Pop hat er hier sieben Zimmer im ersten Stock bewohnt, keine 500 Euro Miete bezahlte er dafür. Es gab eine gut ausgestattete Küche mit einem großen Eichenholztisch, auf dem zu Weihnachten 1976 eine Gans serviert wurde. In einem Zimmer standen eine Stereoanlage und ein Sessel, in den anderen lagen Matratzen herum. Schöner wohnen geht anders.

Phantomschmerz in Berlin

Nicht einmal zwei Jahre hat Bowie in der Stadt verbracht, vom August 1976 bis zum Frühjahr 1978. Trotzdem geht ein Phantomschmerz durch Berlin, wenn wie in diesen Tagen eine umfassende Ausstellung über den Künstler im Martin-Gropius-Bau eröffnet. Etwas, jemand fehlt: David Bowie bei der ihm gewidmeten Retrospektive, die ab 20. Mai aus dem Victoria and Albert Museum in London nach Berlin kommt.

Kaum ein Künstler hat die Stadt so beeinflusst wie der Brite. Er hat ihr weltweit Ansehen verschafft zu einer Zeit, als niemand den Westen der geteilten Stadt als Inspirationsort wahrnahm. Erst David Bowie setzte Westberlin auf die Landkarte der Popkulturproduktion. Immerhin drei bahnbrechende Platten schuf er hier: "Low", "Heroe" und "Lodger". Sie werden heute als die Berlin-Trilogie überschrieben und markieren eine Schaffenszeit, die Bowie-Kenner gern als seine wichtigste bezeichnen – und in der David Bowie seinen größten Evergreen geschrieben hat, der nie ein richtig kommerzieller Hit wurde: "Heroes", die Geschichte zweier Liebender im Schatten der Berliner Mauer.

Where Are We Now?

David Bowie selbst hat sich vergangenes Jahr auf eine musikalische Spurensuche begeben. In seiner Single "Where Are We Now?" erinnerte er sich an Orte wie den Potsdamer Platz, das Kaufhaus KaDeWe und den Club Dschungel in der Nürnberger Straße.

In der Hauptstraße 155 erinnert nichts an seinen berühmten Ex-Bewohner, kein Hinweis, kein Schild. An diesem Gebäude prallt jede Form von Verehrung ab. Im Erdgeschoß buhlen eine Physiotherapie, ein Tätowiersalon und eine Musikbar um Laufkundschaft. In der ersten Etage soll inzwischen eine arabischstämmige Großfamilie wohnen. Nichtsdestotrotz geht eine Frau in Leoparden-Imitat-Jacke durch den Hinterhof und schaut rauf zu den Fenstern des ersten Stockwerks, ganz so, als suche sie nach etwas. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass sie wohl dem Geist eines längst ausgezogenen Mieters nachspürt.

Doch auch David Bowie hat in Berlin bereits Spuren anderer verfolgt. Er ist Christopher Isherwood in die Halbwelt der Schwulen gefolgt, die Isherwood mit "Goodbye to Berlin" mystifiziert hat – jenem Buch über die frühen 1930er-Jahre, auf dessen Grundlage der Welterfolg "Cabaret" entstand. Isherwood wohnte Ende der 1920er-Jahre in der Nollendorfstraße, einen 20-minütigen Spaziergang von der Hauptstraße entfernt.

Propagierte Freizügigkeit

Gar nicht weit weg von dort hat Bowie seine eigene Sally Bowles gefunden, das Lebegirl aus "Cabaret": Romy Haag, eine Travestiekünstlerin. Die gebürtige Niederländerin hatte einen Nachtclub in der Fuggerstraße und wohl eine Liaison mit dem Sänger. Angeblich soll er nicht besonders erfreut gewesen sein, als sie damit ohne sein Wissen an die Presse ging.

Wer heute die Fuggerstraße 33 aufsucht, findet dort eine als Disco getarnte Sexkneipe. Im Connection leben homosexuelle Männer jene Freizügigkeit aus, die Bowie einst propagiert hat. Oben gibt es eine Tanzfläche als Alibi, im Kellergeschoß geht's dann zur Sache.

Konserviertes Flair

Ein anderes Lokal konserviert den Flair aus Bowies Tagen. Zwei Häuser von seiner früheren Wohnung entfernt, in der Nummer 157, hatte damals gerade das "Andere Ufer" eröffnet – die erste Schwulenbar Berlins, in der es große Fenster zur Straße und keine heruntergelassenen Rollos gab. Die Botschaft war klar: "Wir wollen uns nicht länger verstecken." Oft war Bowie hier zu Gast, trank einen Kaffee und rauchte Gitanes. Als eines Nachts die Scheibe von einem Betrunkenen eingeschlagen wurde, klopfte Bowie an die Tür, drückte dem Barkeeper Geld in die Hand und wartete mit ihm, bis der Glaser kam. Im "Anderen Ufer", das nach einem Besitzerwechsel nun "Neues Ufer" heißt, feiern sie heute noch jedes Jahr Bowies Geburtstag am 8. Jänner, auch wenn das alte Mobiliar längst entsorgt wurde.

Andere Orte verweisen nur indirekt auf die Berliner Biografie des Briten. Bowie schaute mehrmals im Brücke-Museum vorbei, huldigte den Expressionisten und kaufte beim Galeristen Artur Vogdt eine Vorstudie zu Emil Noldes "Die Heiligen Drei Könige" und Ernst Heckels Farbholzschnitt "Weiße Pferde" – "zu unglaublichen Preisen", wie er später in einem Interview bekannte.

Alltag mit Anekdoten

Der Sänger radelte durch die Stadt, fuhr mit dem Bus, und die Berliner bedrängten ihn nirgendwo – eine Qualität, die Bowie sehr schätzte. Er führte ein halbwegs normales Leben. Allerdings war es gespickt mit umso spektakuläreren Anekdoten: Als David Bowie am Kurfürstendamm einen Drogendealer sah, der ihn einmal reingelegt hatte, fuhr er mit seinem schwarzen Mercedes in den Wagen des Mannes hinein – immer und immer wieder, minutenlang. Oder: 1978 ging Bowie zur Eröffnung des Kreuzberger Punk-Clubs SO 36 – im feinen weißen Anzug und mit getönter Sonnenbrille. Und: Bowie schmiss Iggy Pop einfach aus der gemeinsamen Wohnung, weil der ständig aus dem Kühlschrank Lebensmittel fladerte, die der Brite in der Feinkostabteilung des KaDeWe gekauft hatte.

Aus den Hansa-Studios in der Köthener Straße gibt es natürlich auch Geschichten zu erzählen. Damals lagen die Studios in Sichtweite der Mauer, kaum 50 Meter entfernt die Wachtürme der DDR-Grenzsoldaten. Eines Abends, als der Sänger ein Lied übte – die Fenster waren weit geöffnet –, bemerkt er die Grenzer auf den Türmen – und richtet die Scheinwerferlampe des Studios auf die Soldaten.

In diesem Studio nahm David Bowie "Heroes" auf, im Meistersaal, einem Ballsaal aus den 1920ern, in dem Jahre später Bands wie Depeche Mode, U2 und REM dieselbe Energie einzufangen suchten. Über diesen Ort und die Stadt drum herum sagt Thilo Schmied: "Es war ein Abenteuerspielplatz."

"Schafft diesen Junkie hier raus!"

Schmied organisiert die sogenannten Berlin Musictours, die zu vielen Orten der hiesigen Popgeschichte führen, unter anderem eben in die Hauptstraße 155 oder in die Hansa-Studios. Auch mit Bowies Zeit in Berlin kennt er sich bestens aus. So seien Drogen bei Bowie im Studio immer verboten gewesen. Eine Kiste Schultheiss-Bier, die war erlaubt, ansonsten arbeitete Bowie relativ abstinent.

Vielleicht war dem Musiker noch die Ablehnung gegenwärtig, die er im Hause von Conny Plank erlebte. Eigentlich wollte Bowie in den Studios des legendären Krautrock-Produzenten aufnehmen, als er ihn 1976 in Plank südlich von Köln besuchte, wohl noch unter dem Einfluss von Drogenräuschen aus Los Angeles. Planks Ehefrau soll damals nur gesagt haben: "Schafft diesen Junkie hier raus!"

Von da an ging es ohne regelmäßige Drogendelirien ins Nachtleben von Westberlin. Ins "Andere Ufer" oder auch ins Restaurant Exil am Paul-Lincke-Ufer, in dem sich heute das Horváth befindet – ein gehobenes Lokal mit österreichischer Küche. Bowie schätzte hier vor allem den Raucherraum im Hinterzimmer, den gibt es natürlich längst nicht mehr.

Legenden aus dem Meistersaal

Thilo Schmied steht mitten im Meistersaal, diesem sagenhaften Ort in den Hansa-Studios. Der Geruch von Politur steigt stechend in die Nase, das Parkett glänzt, zwei italienische Touristen fotografieren sich in dem Saal, der so gar nichts mehr mit dem Ambiente aus Bowie-Zeiten gemeinsam hat. Damals hingen Netze unter den Decken, um den bröckelnden Putz aufzufangen.

Wer weiß, was ohne den Sänger aus den Studios geworden wäre. Jedenfalls nicht die Art von Legende, die heute noch Menschen fasziniert. Ohne Bowie wäre es nämlich für die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern in die Annalen eingegangen – für Roland Kaiser, Mireille Mathieu und Engelbert. Auch dafür kann Berlin David Bowie gar nicht genug danken. (Ulf Lippitz, DER STANDARD, Album, 17.5.2014)