Wien - "Freuden sonder Zahl" heißt es in Schuberts Lied Seligkeit, das Anja Harteros in der Staatsoper als eine von drei Zugaben sang. Doch Liederfreuden sind rar geworden, rarer als noch vor wenigen Jahrzehnten. Insbesondere Opernsänger tun sich manchmal mit dem intimen Genre schwer, den Ausgleich zwischen Klangfülle und gestalterischer Genauigkeit zu finden.

Auch Harteros konnte ihre Bühnenerfahrungen nicht verleugnen. Aber sie nutzte sie - wie bei dieser Zugabe -, um der Miniatur eine faszinierende Dramaturgie zu geben, indem sie bei der dritten Strophe gleichsam einen neuen Raum betrat und das auch hörbar machte. Jedes einzelne der 20 Lieder des Abends war ähnlich durchdacht und durchfühlt, das Programm mit Liedern von Schubert, Hugo Wolf und Strauss zwischen Überschwang und Trauertönen ebenso klug gewählt wie die einzelnen Spannungsbögen.

Unbeschreiblich sind die Phrasen, die Harteros ihrer ausgeglichenen, wandlungsfähigen Stimme entlockte (Schuberts Nacht und Träume, Strauss' Morgen oder - kraftvoll jubelnd - in Wolfs Er ist's). Wunderbar war der Wechsel zwischen Versenkung und Entäußerung, den sie zuweilen von einer geschliffen artikulierten Gedichtzeile zur nächsten vollziehen konnte. Und: Pianist Wolfram Rieger ist die Antithese zur Berufsbezeichnung "Liedbegleiter".

Er bezieht aus dessen erwarteter Eigenschaft der Zurückhaltung höchste Gestaltungskraft, modelliert den Klang subtil, gestaltet Zeit mit, entfesselt bei Wolf und Strauss unaufdringlichen Farbenzauber und nuanciert besonders bei Schubert. Auch er hätte mehr als eine Blume aus dem Strauß der Sängerin verdient. (daen, DER STANDARD, 16.5.2014)