Porträt Isa Genzken

Foto: Isa Genzken. Porträt, Foto: Wolfgang Tillmans, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln, © Wolfgang Tillmans

The Poverty

Isa Genzken, The Poverty, 2009, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin/Köln

Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle Wien, hat schon mehrfach mit Isa Genzken zusammengearbeitet, unter anderem als Kommissär des deutschen Pavillons in Venedig 2007. Für die Kunsthalle Wien kuratiert er die Ausstellung "I’m Isa Genzken, The Only Female Fool", die von 28. Mai bis 7. September 2014 läuft. In diesem Interview spricht er mit Daniel Bucholz, der als Galerist seit über 30 Jahren mit Isa Genzken zusammen arbeitet und ihr Werk wie kaum jemand anderes kennt, über die spannende Entwicklung dieser Ausnahmekünstlerin.

1986 hast du in Köln die Galerie Buchholz gegründet. Wann hast du zum ersten Mal Arbeiten von Isa Genzken ausgestellt?

Die erste Zusammenarbeit mit Isa Genzken war 1987, allerdings nicht in den Räumen der Galerie, sondern in dem Musikalienhandel MUSIX ganz in der Nähe. Das war ein besonderes Geschäft für Musikinstrumente, Stereoanlagen und HiFi-Geräte. Wir haben damals gefragt, ob wir die Weltempfänger – so heißen die kleinen Betonradios mit Antenne – dort zeigen können.

Ein Weltempfänger ist auch in der Ausstellung I’m Isa Genzken, The Only Female Fool in der Kunsthalle Wien zu sehen.

Auch diesen haben wir nicht in weiß gestrichenen Ausstellungsräumen, sondern im Schaufenster des Fachgeschäftes für Radiogeräte gezeigt. Ein Jahr später folgte dann die erste Ausstellung in meinen damaligen Galerieräumen in der Venloer Straße in Köln.

1989 galt Köln neben New York als die wichtigste Kunsthandelsmetropole für zeitgenössische Kunst.

Das war damals die Kunststadt in Europa.

Wann hast du Isa Genzken kennengelernt?

Das ist dreißig Jahre her. Ich habe sie 1984 bei der Eröffnung einer Ausstellung von Kynaston McShine im MoMA getroffen. Das war die erste Ausstellung nach dem Umbau des Museum of Modern Art. Ich habe 1984 in New York gelebt und die Zweigstelle der Galerie von Rudolf Zwirner geleitet, dem Vater von David Zwirner. Als ich dann wieder in Köln war, haben Isa Genzken und ich uns näher kennengelernt, kamen ins Gespräch und haben viel miteinander diskutiert. Wir haben schnell festgestellt, dass wir etwas zusammen machen wollen.

Du warst 23 Jahre alt und Isa Genzken 40. Was hat dich an ihr und ihren Arbeiten interessiert?

Sie faszinierte mich als Künstlerin, und die Arbeiten, die ich bis dahin gesehen hatte, die Ellipsoiden zum Beispiel, waren wahnsinnig toll. Konrad Fischer stellte ihre Werke damals aus, und ich fand sie einfach faszinierend. Über das Gespräch mit ihr habe ich dann mehr über ihre Arbeiten erfahren und wollte unbedingt eine Ausstellung mit ihr machen. Zu dem Zeitpunkt standen die Leute ja noch nicht in Dreierreihen an, um sie auszustellen. Schon in den Achtzigerjahren hat sie eine sehr spezielle Position im Bereich Skulptur eingenommen. Wir redeten über Architektur, über El Lissitzky, und ich muss sagen, dass ich viel von ihr gelernt habe. Es war eine interessante Zeit.

Mittlerweile arbeitest du seit rund dreißig Jahren mit Genzken zusammen. Vermutlich gibt es niemanden, der nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ihren Umgang mit den Arbeiten im Raum besser kennt als du. Du giltst bei Ausstellungsmachern und Museen häufig als Ratgeber. Das war auch bei der umfangreichen Einzelausstellung Isa Genzken: Retrospektive (2013) im MoMA der Fall, die jetzt im Museum of Contemporary Art Chicago zu sehen ist und anschließend an das Dallas Museum of Art wandert.

Isa Genzken und ihre Kunst zu verstehen ist gar nicht so einfach. Wenn sie sagt "ich nehme Raum nicht weg, ich gebe Raum hinzu", dann meint das keine klassische bildhauerische Position, bei der Skulpturen entstehen, die im Raum platziert werden oder irgendwo im Außenraum. Ihr geht es immer um die Umgebung und darum, die gegebene Situation zu verändern. Sie hat völlig anders gearbeitet als alle anderen Künstler und Künstlerinnen, die ich bis dato kannte. Sie war für mich gewissermaßen das Modernste und Aufregendste, das es gab im Vergleich zu anderen künstlerischen Positionen. Das Interessante an ihren Werken ist, dass es nicht nur um das eine geht, sondern immer auch um was anderes. Man denkt, man wüsste, was gemeint ist. Manchmal ist das dann wirklich so, aber in anderen Fällen auch wieder nicht.

Aber sie legt nicht bewusst falsche Fährten …

Es geht um Innen und Außen. Das sieht man besonders gut an der Serie der Fenster, die die Membran zwischen innen und außen thematisieren. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die Fotografien von Musikinstrumenten oder die Anzeigen für HiFi-Geräte übertragen, die sie 1979/80 produziert hat. Das waren in erster Linie Werbeanzeigen, gleichzeitig zeigen die Poster aber auch grafische Wellenformationen, und es sind Fotografien. Fotografien wiederum sind für Genzken Skulpturen. Sie hat einmal gesagt, dass sie Fotografie als Skulptur wahrnimmt, dass Fotografien Ausblicke sein können.

Glaubst du, es ist wichtig, dass Genzken eine Künstlerin ist?

Sie war die einzige Künstlerin in einer Machozeit. In den Achtzigerjahren gab es wenige Künstlerinnen in den großen Galerien in Deutschland, weder bei Michael Werner, Konrad Fischer, Rudolf Zwirner noch in der Galerie Friedrich & Dahlem. Katharina Sieverding schwirrte vielleicht irgendwo herum. Aber eigentlich gab es nur Isa Genzken als große Künstlerin – obschon ihr enormer Erfolg damals noch nicht abzusehen war – mit ihren modernen Ideen, mit diesem nie spezifisch feministischen Ansatzpunkt. Sie wollte auch nie spezifisch als Künstlerin wahrgenommen werden, sondern immer nur als Künstler.

Spätestens seit ihrer Retrospektive im MoMA gehört Genzken zum Kanon der deutschen Nachkriegskunst. Aus meiner Sicht gibt es wenige Künstler/innen, die in der westdeutschen Nachkriegszeit sozialisiert wurden und den Übergang nach 1989 so perfekt beschrieben haben wie sie.

Für Genzken ist der Blick nach Westen, der gleichsam ein Blick Richtung Amerika war, sehr wichtig, obwohl oder gerade weil ihre Anfänge von der Auseinandersetzung mit der russischen Avantgarde, mit Ljubow Popowa oder El Lissitzky bestimmt waren. Mit diesen hat sie sich im Studium intensiv beschäftigt. Später war es dann der Minimalismus von Carl Andre und dann die konzeptionellen Positionen von Michael Asher und anderen, die ihr sehr wichtig waren. Auch Dan Graham war ihr wichtig.

Frühere Werke von Genzken wirken ja durchaus konzeptuell-minimalistisch.

1987 bei dem Skulpturenprojekten in Münster hatte Isa Genzken eine tolle Arbeit entwickelt, ABC, die eigentlich vor Ort verbleiben sollte, die aber von der Stadt nicht genehmigt und auch von der Universität, wo sie stand, nicht gewollt wurde und dann auch abgerissen wurde.

Wir zeigen ja in der Ausstellung auch Dokumentationsmaterialien von Arbeiten, die für den öffentlichen Raum geplant waren, jedoch nicht realisiert werden konnten. Woran lag das, beispielsweise bei dem Projekt für den Ring in Rotterdam?

Zunächst wurde Genzken für ein Autobahnprojekt eingeladen. Dafür hat sie einen riesigen Berg vorgeschlagen, weil Holland ja nur eine flache Ebene ist und keine Berge hat. Dieser Berg sollte 30 Meter hoch sein und auf dünnen Stelzen stehen, so dass die Autos darunter durchfahren könnten. Das Projekt war nicht realisierbar, weil es zu teuer geworden wäre. Ihr zweiter Entwurf waren riesige Tulpen, die sich im Wind bewegen sollten. Das haben die Holländer nicht ernst genommen, weil sie dachten, es wäre eine Ironisierung ihres Landes. Die Tulpen sind übrigens die Vorgänger für die große Rose, die heute im Innenhof des MoMA in New York steht. Der dritte Entwurf war der Vorschlag, in Rotterdam einen riesigen Ring zwischen zwei Häusern schweben zu lassen. Das scheiterte wiederum an den Anwohnern, die das nicht wollten, weil der Ring einen Durchmesser von mindestens 18 Metern haben sollte. Das wäre ein Eisenring gewesen, der sich im Winter ein wenig zusammenziehen und im Sommer ausdehnen würde. Deshalb hätte man die Befestigung etwas loser machen müssen, und es hätte immer gerappelt. Die Anwohner fanden das zwar schön, aber eine Skulptur, die nur an zwei Punkten der Häuser befestigt war, wollten sie nicht.

Genzkens Arbeiten für den öffentlichen Raum sind oft viel poetischer als die Arbeiten für den musealen Raum.

…weil es keine Skulpturen sind, die auf ihrem Hintern sitzen, sondern die mit der Stadt zu tun haben und deshalb die Umgebung miteinbeziehen. Ein tolles Beispiel ist die Arbeit in der Rue de Canal im Zentrum von Brüssel in der ehemaligen Galerie Meert-Rihoux, heute Galerie Greta Meert. Wenn man auf die Dachterrasse des Rathauses geht, dann sieht man einen Metallrahmen, der leicht zur Straße hin gekippt ist. Wenn man durch diesen hindurchblickt – die Arbeit heißt Kamera/Camera – erkennt man einen gerahmten Ausschnitt der Stadtlandschaft. Wenn man auf dem Dach steht, sieht man also ein eingerahmtes Bild, aber wenn man von unten schaut, einen gekippten Rahmen, der aussieht, als würde er gleich herunterfallen.