Dass Viktor Orbán nicht wusste, was er sagte, ist bei seiner Intelligenz auszuschließen. Also muss der ungarische Premier die Forderung nach Autonomie für die ethnischen Ungarn in der Westukraine im vollen Bewusstsein dessen gestellt haben, was dies in der gegenwärtigen Lage bedeutet. Wenn der Regierungschef eines EU-Landes für "seine" Volksgruppe Selbstverwaltung fordert, was ist dann Moskaus Patronanz für die russischsprachigen Ukrainer im Süden und Osten entgegenzuhalten?

Pikanterweise hat Budapest derzeit den Vorsitz in der Visegrád-Gruppe (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) inne. Deren Ministerpräsidenten verurteilten Anfang März in einer gemeinsamen Erklärung "jede Aktion, die die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine bedroht".

Auch wenn Autonomie - deren Ausmaß Orbán wohl bewusst offen lässt - nicht Abspaltung bedeutet: Den ukrainischen Separatisten und ihrer Schutzmacht liefert der ungarische Premier ebenso willkommene Argumentationshilfe, wie er den EU-Bemühungen um Vermittlung und Stabilisierung schadet.

Etwas Nützliches ist aber doch an dem Vorstoß: Er macht klar, dass Konflikte wie im Fall der Ukraine nicht anhand ethnischer Kriterien zu lösen sind. Denn das droht in letzter Konsequenz zu dem zu führen, was vor 20 Jahren im zerfallenden Jugoslawien unter dem Begriff "ethnische Säuberung" in die Geschichte eingegangen ist. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 15.5.2014)