Eines der beim zweiten Campus präsentierten Gerichte.

Foto: kochcampus.at/helge_kirchberger

Es rumort in den Küchen von Österreichs höchstdekorierten Restaurants. Zwar bestätigen ihnen die Restaurantführer jedes Jahr unisono "Weltklasse" und "einzigartige Kreativität", international aber wird ihre Arbeit immer weniger wahrgenommen. Die Einstellung des Michelin-Österreich-Guides vor Jahren hat das Problem nur noch virulenter gemacht. Selbst in Deutschland, wo bislang die verlässlichsten Fans zu finden waren, scheint die Strahlkraft unseres Phäakenparadieses bedenklich nachzulassen.

Lang ist es her, dass ein Wolfram Siebeck über Monate Quartier in Wien bezog, um lokale Köche als Leuchttürme gastronomischer Vollkommenheit zu verewigen und der "Zeit"-Leserschaft die Wiener Küche an den Gaumen zu legen. Es kann nichts Gutes bedeuten, wenn selbst verbliebene Großkritiker wie Jürgen Dollase von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"  ihre periodischen Austriaka-Elogen plötzlich auf einen gealterten Hotelkoch schmieden, wie das dem ehrenwerten, aber restlos unauffälligen Manfred Stüfler von der Sacher-Außenstelle in Salzburg (?) zuletzt im März auf einer ganzen "FAZ"-Seite vergönnt war.

Längst ist ein offenes Geheimnis, dass unsere begehrtesten Adressen nur am Wochenende - und selbst dann nur mit Glück - so ausreserviert sind, wie das ihrem Nimbus entsprechen würde. Klar, Heinz Reitbauer und sein derzeit in Umbau befindliches Steirereck sind jene Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es reicht aber nicht, als Einzelphänomen international Aufsehen zu erregen, um die Tourismusdestination Österreich als Ganze aus der Mittelmäßigkeit zu heben. Das ist Reitbauer bewusst und seinen Kollegen noch viel mehr.

Immer mehr Köche erkennen die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der heimischen Edel-Küche - die Herren Reitbauer und Dorfer...
Foto: www.kochcampus.at/helge_kirchberger

Sie haben erkannt, dass es eines gemeinsamen Narrativs, einer Story bedarf, um die heimische Gastronomie auf ein neues Podest zu stellen und zu formulieren, warum man als interessierter Esser eben nicht darum herumkommen darf, sich Österreich näher anzusehen. Denn genau das, meint etwa Thomas Dorfer vom Landhaus Bacher, "haben die Dänen, Schweden, auch die Flamen in den letzten Jahren vorgezeigt": Als Gruppe zu agieren und gemeinsam eine spannende, unerwartete Idee des guten Essens zu entwickeln; die kulinarische Identität abzuklopfen ohne Angst, dass dahinter vielleicht ein hohles Gerüst überkommener Vorstellungen zum Vorschein kommt; Eigenes schaffen, statt die Trends anderer bemüht nachzuhüpfen.

Und, ganz wichtig, zu versuchen, jene Kluft zu verkleinern, die sich zwischen der Bevölkerung und den zusehends als abgehoben und elitär empfundenen Spitzenköchen aufgetan hat. Unter dieser Prämisse treffen sich einige der besten Köche des Landes seit Oktober vergangenen Jahres in unregelmäßigen Abständen.

Kochcampus

Dass es harte Arbeit sein wird, so ein Konzept zu erstellen, ist ihnen bewusst. Aber die "Kochcampus" getaufte Initiative des Publizisten Klaus Buttenhauser hat einen unschätzbaren Vorteil: Erstmals setzen sich Einzelkämpfer, die die Erfolge der anderen zuvor misstrauisch registriert und die Geheimnisse eigener Kreativität eifersüchtig gehütet haben, an einen Tisch, um alles in einen Topf zu werfen und zu schauen, was sich daraus an Neuem basteln lässt.

...Döllerer, Irka...
Foto: www.kochcampus.at/helge_kirchberger

Erstmals werden neben ausgewiesenen Größen wie Reitbauer, Dorfer, Döllerer oder Richard Rauch auch junge, nicht ganz so etablierte (aber entsprechend beweglichere) Spitzenköche mit an den Tisch gebeten. Das Ausnahmetalent Harald Irka von der Saziani-Stubn etwa war schon beim zweiten Mal dabei, Vater und Sohn Rachinger vom oberösterreichischen Mühltalhof ebenso, aber auch der viel zu oft übersehene, kulinarisch kluge Jürgen Csencsits aus den Tiefen des Südburgenlands.

Es werden Kreationen hergezeigt und verkostet, es wird über gemeinsame Aktionen diskutiert, es werden bislang geheim gehaltene Lieferanten ausgesuchter Qualitätswaren ausgetauscht. Eine der ersten Aktionen war die Initiative der Spitzenköche gegen die geplante EU-Saatgutverordnung, bei der im Verbund mit Arche Noah und Global 2000 500.000 Unterschriften gesammelt und die Verordnung - zumindest vorerst - abgewendet werden konnte.

...Probost und Rachinger sind nur eine kleine - aber wesentliche - Auswahl jener, die das im Rahmen des "Kochcampus" versuchen wollen.
Foto: www.kochcampus.at/helge_kirchberger

"Was im Kochcampus passiert und gezeigt wird, muss allen zur Verfügung stehen", hat Heinz Reitbauer beim ersten Treffen postuliert. Das gilt auch für die knusprig herausgebackene, extrem saure, aber faszinierend prägnante Essigmutter vom Gegenbauer-Paradeisessig, die Josef Floh bei dieser Gelegenheit präsentierte. Der genial schlichte Einfall ist bereits in Kompositionen anderer Spitzenköche aufgetaucht.

Noch sind es erste, tastende Versuche, geprägt von gutem Willen, aber auch von Skepsis. Keiner weiß, wo die Reise hingeht, wie weit er den anderen vertrauen kann. Was aber allen klar zu sein scheint: Damit es etwas werden kann, müssen sie alle bereit sein, Erprobtes hinter sich zu lassen und Abenteuerliches, Verrücktes, auch Verqueres zuzulassen. Was einstweilen noch zu kurz kommt, ist die Diskussion, die Auseinandersetzung mit dem, was in die Sackgasse geführt hat. Das kommt schon noch. Denn eines scheint allen Beteiligten bewusst geworden zu sein: dass es ein langer Weg werden kann. Der wichtigste Schritt aber ist bereits getan - der erste. Und: Sie haben ihn gemeinsam getan.  (Severin Corti, DER STANDARD, 21.5.2014)