Sie fliegen wieder: Bienen sind nicht aggressiv, ihr Gift ist nur für Allergiker gefährlich. Auch Pollen lösen starke Reaktionen aus.

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So etwas wie dem Mann in Zürich darf keinem Patienten mehr passieren, schwört sich Markus Ollert, Oberarzt an der Dermatologie an der Technischen Uni München und einer der führenden Allergieforscher Europas. Der Mann in Zürich hatte eine schwere Allergie gegen Bienengift und ließ sich deshalb vier Jahre lang mit einer Immuntherapie behandeln.

Alle paar Wochen spritzte ihm der Arzt kleine Mengen des Gifts unter die Haut, um den Körper zu "lehren", nicht mehr allergisch zu reagieren. Zur Therapiekontrolle ließ er sich in der Klinik von einer Biene stechen - und wäre fast an einem schweren allergischen Schock gestorben.

Die Immuntherapie hat ihn überhaupt nicht geschützt. Der Arzt in der Zürcher Uniklinik schickte Blutproben des Mannes zur Analyse in das Labor von Markus Ollert. Dem war schnell klar: "Er ist gegen Substanzen im Bienengift allergisch, die in den heutigen Immunlösungen in zu geringer Konzentration enthalten sind", erklärt er. Das sei einer der Hauptgründe, warum bei jedem zehnten Patienten die Immuntherapie nicht wirke.

Personalisierte Therapie

Menschen mit Allergien individuell zu behandeln: Das ist der Traum Ollerts und vieler anderer Allergologen, der beim Kongress der Internationalen Gesellschaft für molekulare Allergologie (Isma) Ende vergangenen Jahres in Wien diskutiert wurde. Bei manchen Allergien - wie bei der Insektengiftallergie - sind die Forscher dem Ziel einer personalisierten Therapie schon sehr nahe.

Doch bei anderen Allergien, etwa gegen Nahrungsmittel, sind sie erst dabei, zu begreifen, warum diese Erkrankungen so schwierig zu therapieren sind. "Durch die Techniken, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden, können wir heute aber viel schneller forschen", sagte Ollert in Wien. Als Beispiel nannte er die Massenspektroskopie, mit der man viel rascher die allergieauslösenden Substanzen identifizieren kann.

"Das ist so, als würde man Bienengift oder ein Nahrungsmittel in eine Maschine schütten, und innerhalb von Sekunden listet die Maschine die allergieauslösenden Eiweiße auf", deren Fachbegriff lautet Allergene.

Auslöser finden

Insektengift, Nahrungsmittel oder Pollen enthalten Hunderte von Eiweißen, allerdings: Nur wenige lösen tatsächlich eine Allergie aus. "Früher wussten wir, dass die Eiweiße daran beteiligt sein müssen, aber uns fehlten die Techniken, um sie nachzuweisen", sagt Ollert. Jetzt können sie die Forscher nach und nach identifizieren und die Erkenntnisse für Diagnose und Therapie nutzen.

So könne man zum Beispiel mit Massenspektroskopie nachweisen, ob jemand gleichzeitig gegen Bienen und Wespen allergisch ist, und dann die Dosis der Immuntherapie verdoppeln, wenn ein Mensch mit Bienengiftallergie gegen die Eiweiße mit den Nummern drei oder zehn allergisch ist. Bei Leuten mit Heuschnupfen können die Forscher auch herausfinden, ob jemand gleichzeitig auf Äpfel, Nüsse oder andere Nahrungsmittel reagiert.

Spielarten von Eiweiß

Beim Isma-Kongress berichteten Forscher aus Lyon, dass die Haselnuss-Eiweiße mit den Nummern 9 und 14 eine meist heftige allergische Reaktion mit Atemnot und Kreislaufzusammenbruch auslösen, während die Eiweiße 1 und 2 nur eine milde Allergie mit pelzigem Gefühl oder Kribbeln auf der Zunge verursachen. Letztere tritt meist als Kreuzreaktion im Rahmen einer Pollenallergie auf.

"Reagiert ein Kind auf Haselnüsse allergisch, würde ich die einzelnen Eiweiße in einem Bluttest nachweisen lassen", sagte Karin Hoffmann-Sommergruber, Organisatorin von Isma und Allergieforscherin an der Med-Uni Wien. "Ist man gegen die "schlimmen" Eiweiße 9 oder 14 allergisch, muss jedoch jede Spur von Nuss gemieden werden, Notfallmedikamente dabeizuhaben ist dringend empfohlen." Ähnliches fanden Forscher bei der Erdnussallergie: Die Eiweiße 1, 2 und 3 lösen eine heftigere Reaktion aus als die Eiweiße 8 oder 9.

Nicht effizient genug

Mühsam gestaltet sich die Entwicklung von Therapien gegen Nahrungsmittelallergien. "Der Körper ist vermutlich so überzeugt davon, dass die Eiweiße Feinde seien, dass er schwer davon abzubringen ist", sagt Hoffmann-Sommergruber. Offenbar scheiterten deshalb viele Ansätze zur Behandlung: Immuntherapien per Spritze oder über den Mund verursachten entweder zu viele Nebenwirkungen oder sie wirkten gar nicht.

Ronald van Ree von der Uni Amsterdam verändert die Allergene in den Impflösungen biochemisch so, dass sie potent genug sind, um das Immunsystem umzutrainieren, aber es nicht zu heftig mit Nebenwirkungen reagieren lassen. "Die Spritzen halte ich für am besten", sagte van Ree in Wien. "Denn nur damit gewöhnt man dem Körper die Allergie wirklich ab."

Hoffmann-Sommergruber findet auch den Ansatz mit Hautpflastern vielversprechend. Dabei werden Allergene über die Haut appliziert. "Bis wir routinemäßig therapieren können, vergehen aber mindestens noch fünf Jahre", erklärte van Ree. Ollert möchte die Therapien noch mehr personalisieren, indem er Substanzen zur Immunlösung gibt, die die Wirksamkeit der Therapie verbessern.

Allergisch gegen Fleisch

Aber es gab auch andere Neuigkeiten in Wien. Eine kam von Thomas Platts-Mills, Allergieforscher an der Uni in Virginia. Mit detektivischem Spürsinn hatte Platts-Mills kürzlich eine bislang unbekannte Allergie gegen einen Zucker in rotem Fleisch entdeckt. Anders als bei anderen Allergien bekommen Patienten erst Stunden nach dem Fleischgenuss Ausschlag, Atemnot oder fallen sogar in Ohnmacht. "Ich habe den Patienten erst nicht geglaubt, die davon erzählten", sagte Platts-Mills, "als das aber Hunderte berichteten, fing ich an, der Sache auf den Grund zu gehen. Manchmal kommt man einen Riesenschritt weiter, wenn man Patienten einfach gut zuhört." (Felicitas Witte, DER STANDARD, 13.5.2014)