Die Administration der Europäischen Union hat einen neuen Lieblingspolitiker. Es ist Aleksandar Vučić, der neue Ministerpräsident Serbiens, der bekehrte Ultranationalist, der heutzutage in Brüssel als überzeugter Europäer anerkannt ist.

Verziehen sind ihm jugendliche Sünden, dass er noch vor sechs Jahren für Großserbien agierte und serbische Kriegsverbrecher wie General Ratko Mladić vergötterte, in den 1990er-Jahren für serbische Territorien in Kroatien und Bosnien und Herzegowina (BiH) und das Kosovo, die Wiege des Serbentums, kämpfte. EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und Erweiterungskommissar Štefan Füle kamen persönlich nach Belgrad, um dem neuen Regierungschef zum überragenden Wahlsieg zu gratulieren. Lob und eine Einladung nach Berlin kamen sogar von Kanzlerin Angela Merkel, die serbischen Politikern bisher die EU-Integration mit immer neuen Forderungen das Leben erschwerte.

Ganz im Sinne seiner Rolle des unumgänglichen Friedensfaktors auf dem Balkan (so bezeichnete die US-amerikanische Presse den "Schlächter vom Balkan" Slobodan Milošević, als er 1995 das Friedensabkommen von Dayton unterzeichnete und die bosnischen Serben zum Frieden zwang) führte Ministerpräsident Vučić am Dienstag die erste offizielle Dienstreise nach Sarajevo. Damit setzte er ein Zeichen für die serbische Außenpolitik: Serbien werde sich um gutnachbarliche Beziehungen mit BiH bemühen, engere wirtschaftliche Zusammenarbeit anstreben und seinen Beitrag Leisten, damit das ethnisch geteilte Land mit unmöglicher Staatsstruktur zusammenwächst und europatauglich wird. Vučić wischte so der serbischen Entität in Bosnien Republika Srpska (RS) eins aus, deren Präsident Milorad Dodik immer wieder mit einem Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem oder irgendeinem anderen Vorbild droht und sich dem Zusammenwachsen des Staates widersetzt.

Dodik bestellte er, dass er nicht mit den Gefühlen der Serben, die sie zur RS hegen, spielen sollte. Seinem pathetischen Stil treu, bekannte sich Vučić zur territorialen Integrität Bosnien und Herzegowinas und sagte, dass er die RS liebe, aber dass niemand BiH vernichten könne, dass er sich wünschte, dass jeder Bosniake, jeder Kroate und jeder Serbe die Freundschaft zwischen den zwei Staaten empfinden würde. Vučić widersprach energisch den Behauptungen einiger bosnischer Medien, dass im Parteiprogramm seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) die Gestaltung "eines einheitlichen Staates aus Serbien und der RS" stehe. Von Vergangenheitsbewältigung kein Wort, nach vorn und nicht nach hinten solle man blicken.

In Belgrad heißt es schon lange, dass sich Vučić von seiner nationalistischen und kriegerischen Vergangenheit reinwaschen würde, wenn er sich in Sachen Kosovo und Bosnien an den Westen wendet. Vučić hat sich als ein Mann erwiesen, der sein Wort hält: Serbien hat Kosovo zwar nicht de jure, doch de facto anerkannt, das Abkommen zwischen Belgrad und Prishtina wird als „historisch" bezeichnet.

Nun ist BiH dran, Vučić wird wieder seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen müssen. Denn er ist den Serben viel mehr als ein Regierungschef, er ist ein richtiger Volksführer, ein Erlöser, der die Serben endlich aus dem unerträglichen Schlamm der allgemeinen Armut herausziehen würde. Er setzt sich über alle Institutionen hinweg, er entscheidet über alles, Widerspruch wird nicht geduldet. Das Volk liebt ihn, und wenn jemand unangenehme, doch notwendige Aufgaben erledigen kann, dann ist er es. Seine SNS hat eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Der Lob des Westens spornt Vučić sicher an, im Sinne der EU regionale Politik zu betreiben.

Auch in Wirtschaftsfragen gibt sich Vučić ganz als ein Musterschüler der EU-Kommission, das Herz der Beamten des Internationalen Währungsfonds IWF schlägt höher, wenn sie sein Programm über drastische Sparmaßnahmen, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und die Sperrung bankrotter staatlicher Unternehmen lesen.

Vučić hat sich viel vorgenommen. Dass die Opposition in Serbien praktisch nicht existiert, die Brutalität, mit der Sicherheitsdienste und Vučić-treue Medien mit seinen innenpolitischen Gegnern abrechnen, sowie die Gleichschaltung der Medien, scheint dabei niemanden zu stören. (Andrej Ivanji, derStandard.at, 13.5.2014)