Eine Katastrophe rollt heran: "Intérieur" im MQ.

Foto: Koichi MIURA

Wien - Der französische Theaterregisseur Claude Régy, ein erklärter Freund postdramatischer Texte wie jener Peter Handkes oder Sarah Kanes, ist für Österreich eine Neuentdeckung. Im Fall eines 91-jährigen Künstlers ist das durchaus bemerkenswert. Seine formstrengen Arbeiten sind stille und langsame, in Düsternis getauchte Rätsel.

Mit zwei Produktionen gastiert Régy nun auf Einladung von Schauspielchefin Frie Leysen bei den Wiener Festwochen. Schon die erste Arbeit, die Inszenierung von Maurice Maeterlincks kleinem Drama Intérieur, offenbart eine kompromisslose und eindringliche Regiehandschrift, wiewohl die Umstände des Zuschauens und -hörens nicht allzu einfach sind. Die Produktion entstand in Japan; die deutsche Übersetzung dazu wird allerdings nur sporadisch gegeben, "um die Atmosphäre der Inszenierung zu wahren" (so das Programmheft). Das Rätsel wird dadurch also größer.

Der belgische Dichter Maeterlinck hat Intérieur (1895) ursprünglich für Marionetten geschrieben. Darin sah Claude Régy die Brücke zur japanischen Theatertradition, zum Figurentheater Bunkraki, an das sich seine Inszenierung anlehnt. In statuarischen Bewegungen ziehen die Schauspieler über die Bühne im Museumsquartier (Halle G). Ihrer Lebendigkeit kann man sich nie ganz sicher sein: Das kreiert einen betörenden Zustand, macht aber zwischendurch auch schläfrig.

Intérieur handelt von der Übermittlung einer katastrophalen Nachricht. Das Kind einer Familie ist ertrunken. Régys Methode: Er zerdehnt diesen Moment, in dem die Katastrophe realisiert wird, auf eineinhalb Stunden. Es wächst in aller Ruhe und sorgsamer Verlangsamung (der Bewegungen wie der Worte) eine erschütternde Erkenntnis.

Entlang eines sich über die Bühnenbreitseite erstreckenden Cinemascope-Streifens zieht Régy mittels Licht eine Linie, die die betroffene Familie von der Dorfbevölkerung unscheinbar trennt. In dieser Trennung steckt die Dramatik: Die Familie wird zur beobachteten Gruppe, die Bewohner werden zu ängstlichen Sprechern. Dabei erinnern die wenigen übersetzten Sätze des Symbolisten Maeterlinck an fernöstliche Weisheiten. So heißt es etwa über die Leichenträger: "Sie kommen über den Weg, der zur Tür führt."

Der rigide verlangsamte Abend evoziert im Publikum leichte Seufzer. Doch das totale Bremsen von Vorgängen erzeugt unheimliche Effekte. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 13.5.2014)