"Wer die Cannabispflanze zum Zweck der Suchtgiftgewinnung anbaut", verstößt gegen das österreichische Suchtmittelgesetz und riskiert eine mehrjährige Haftstrafe. Laut der gängigen Rechtsmeinung wird dieser Zweck allerdings erst erfüllt, wenn die weibliche Staude ihre harzigen Blütenstände ausbildet, die geerntet und getrocknet auch als Marihuana bekannt sind. Vor der Blüte verbietet das Gesetz weder Anbau noch Aufzucht oder Verkauf der Pflanzen.

Diesen Umstand nutzen einige Unternehmen, um die jungen Stecklinge zu vermarkten - oft beworben als Zierpflanzen. Ob die Kunden das Cannabis später zur Blüte bringen, liegt grundsätzlich nicht mehr in der Verantwortung der Unternehmen. Die Firma Flowery Field mit Sitz in Brunn am Gebirge ist laut Geschäftsführer Alexander Kristen die österreichweit größte dieser Art. "Und wahrscheinlich auch europaweit."

Kristen empfängt mich in einem kleinen Besprechungsraum in einer schmucklosen Produktionshalle. Sie steht zwischen der Industriestraße B und der Industriestraße D im Brunner Gewerbegebiet, nur wenige hundert Meter von der Shopping City Süd und den Vorstadtsiedlungen des Speckgürtels entfernt. Es ist einer der weniger ansehnlichen Orte im Land.

Wer in dem 42-Jährigen einen klischeehaften Kiffer anzutreffen glaubt, liegt ebenso falsch wie jemand, der einen CEO in Anzug und Krawatte erwartet. Kristen trägt Jeans, eine blaue Trainingsjacke und eine schwarze Kappe, während er von seinem Geschäftsmodell erzählt.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Durch sein Jusstudium wurde der Wiener darauf aufmerksam, dass eine Cannabiszucht formalrechtlich nicht verboten ist - wenngleich auch nur eingeschränkt möglich. Die Idee verfolgte ihn, bis er sie im Februar 2004, gegen Ende des Studiums, mit der Gründung von Flowery Field und der Miete eines Geschäftslokals in Wien-Neubau umsetzte.

In Pflanzenkunde unbedarft, wie er zugibt, eignete sich Kristen das botanische Wissen erst über die Jahre hinweg an. Mit ursprünglich nur einem Mitarbeiter zog er die Pflanzen im Keller unter Kunstlicht bis vor der Blüte auf, zweigte davon Sprossteile ab und verkaufte die in Steinwollwürfeln verwurzelten Stecklinge oben im Erdgeschoß.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Im Prinzip läuft das Modell zehn Jahre später noch gleich. Mit dem Unterschied, dass das Unternehmen heute 30 Mitarbeiter beschäftigt, die im Ursprungsladen im siebenten Bezirk, in der Halle in Brunn und in einer angesichts der satten Gewinne 2010 in Wien-Favoriten eröffneten Filiale tätig sind.

Die genaue Zahl pro Jahr verkaufter Stecklinge will der Geschäftsführer aus unternehmerischen Gründen nicht veröffentlichen. Als er sie mir vertraulich verrät, steht mein Mund kurz offen.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Anfragen von Kunden nach Zuchtanleitungen, um einen möglichst großen Marihuanaertrag zu generieren, oder nach Rauchzubehör wie Wasserpfeifen werden bei Flowery Field abgewiesen. Hinweise in diese Richtung könnten als Beitragstäterschaft interpretiert werden, selbst wenn im Geschäft oder in der Halle keine Pflanzen mit blühenden Fruchtknoten lagern.

"Wir möchten dich darauf aufmerksam machen, dass wir ausschließlich Pflanzen zu Zierzwecken verkaufen. Wir weisen darauf hin, dass unsere Verkäufer dazu verpflichtet sind, keine Pflanzen an Kunden zu verkaufen, deren Absicht, unsere Zierpflanzen zu gesetzeswidrigen Zwecken zu verwenden, erkennbar ist", steht folglich auf einem laminierten A4-Zettel, der auf der Budel klebt.

Auch wenn die Behördenvertreter bisher immer fair mit ihm verfahren seien, sagt Kristen, reize ihn der regelmäßige Kontakt mit dem Arm des Gesetzes nicht. Davon hatte er in den vergangenen zehn Jahren schon genug.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Den ersten Besuch der Kriminalpolizei erhielt der Wiener ein halbes Jahr nach der Eröffnung seines ersten Geschäfts. Einem konservativen Museumsdirektor, der im selben Haus wohnte, war beim Äußerlnführen seines Hundes wiederkehrend der aus dem Keller strömende Cannabisgeruch aufgefallen. Er erstattete Anzeige.

In den Tagen darauf habe die Belegschaft bemerkt, wie auffällig unauffällige Herren vor dem Geschäft verharrten, offensichtlich in Observationsabsicht. Die Staatsanwaltschaft legte den Antrag auf Hausdurchsuchung und Beschlagnahme der Pflanzen aber zurück - Kristens Deal sei nicht illegal, hieß es in der Erklärung.

Nach der Eröffnung der Halle in Brunn 2005 wiederholte sich das Spiel mit niederösterreichischen Beamten. Diesmal erteilte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt einen Durchsuchungsbefehl. Die Fahnder mussten trotz der Erwartung, Kilomengen verkehrsfähigen Marihuanas zu beschlagnahmen, mit leeren Händen wieder abziehen. Den Staatsanwälten blieb ebenfalls nichts anderes übrig, als die Anzeige zu den Akten zu legen.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Heute werkt Flowery Field relativ frei von behördlichen Interventionen. "Sie gehen eh mit der Zeit", sagt Kristen über Polizei und Ämter. Auch gesellschaftlich hat sich in seinen Augen das Klima gedreht: "Vor zehn Jahren war ich für die meisten ein Drogendealer. Mittlerweile stehen die Leute dem Thema viel liberaler gegenüber", sagt der 42-Jährige und verweist auf eine aktuelle Umfrage, wonach knapp vier von zehn Österreichern eine Freigabe von THC-haltigen Substanzen befürworten.

Eine Legalisierung, wie sie derzeit in mehreren Bundesstaaten der USA im Gang ist, würde dem Staat eine enorme Wertschöpfung bescheren, sagt Kristen. Schon unter den derzeitigen Umständen führt er mit einem einzigen Unternehmen jährlich Steuern und Abgaben im siebenstelligen Eurobereich an die öffentliche Hand ab. Volkswirtschaftlich wegfallen würden bei einer Freigabe gleichzeitig die hohen Personalkosten, um den derzeit aktiven Apparat aus Suchtgiftfahndern, Psychologen und Amtsärzten zu finanzieren.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Bis es so weit ist, wird in Österreich aber noch einige Zeit vergehen: "Wenn man in ein paar Jahren sieht, dass in den USA nicht alle plötzlich Crystal-Meth-abhängig wurden, und wenn die EU in eine entsprechende Richtung einlenkt", sagt Kristen, dann werde die Freigabe auch bei uns ein konkretes Thema werden.

"Sich jetzt offen dafür zu positionieren ist halt noch immer eine heikle Sache", meint der Wiener und erzählt von einer heute bekannten Persönlichkeit aus der österreichischen Politik, die während der gemeinsamen Studienzeit zumindest zehn Jahre lang regelmäßig gekifft habe, gemäß offizieller Parteilinie aber trotzdem nie für eine Legalisierung war. "Eine gewisse Doppelmoral ist das schon."

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Bei aller Fürsprache kann sich der 42-Jährige aber nicht aktiv in die Legalisierungsbewegung einbringen - aus rechtlichen Gründen, wie er sagt. Zu groß seien die Gefahr der Beitragstäterschaft und seine Verantwortung gegenüber den Angestellten.

Kristen warnt allerdings davor, Cannabis generell zu glorifizieren: "Es ist ein Rauschmittel, und ein solches braucht verantwortungsvollen Umgang. Bei einer Freigabe müsste es einen strengen Jugendschutz geben. Meine Erfahrung ist, dass Leute, die schon als Jugendliche regelmäßig gekifft haben, oft an Konzentrationsschwierigkeiten leiden."

Auch von seiner Belegschaft verlangt der Wiener im Job Nüchternheit. Eine entsprechende Anordnung hängt im nur für das Personal zugänglichen Bereich der Flowery-Field-Zentrale aus. "Ich will auch nicht, dass sie neben der Arbeit Bier trinken. Was sie dann nach Feierabend machen, geht mich nichts an."

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Sollte es in Österreich mittel- oder langfristig tatsächlich zu einer völligen Cannabisfreigabe kommen, wird der Sektor nach Kristens Einschätzung "von den Großgärtnereien, die Baumärkte beliefern, und den Konzernen der Tabak- oder Pharmaindustrie dominiert werden. Als Normalsterblicher habe ich dann nur eine Chance, wenn ich mir so viel Know-how wie möglich über diese Materie aneigne."

Zu diesem Zweck hat der Unternehmer im Keller der Favoritner Filiale kürzlich ein steriles Versuchslabor eingerichtet, das wir nur in Kittel, Schuhüberzügen und nach Händedesinfektion betreten dürfen.

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Ein Mikrobiologe und eine Chemikerin betreiben hier zwischen Osmosefiltern und Hochdrucksterilisatoren Grundlagenforschung am Hanfgewächs. In Versuchsreihen auf Grundlage des Meristems - das ist die Entsprechung der Stammzelle bei Pflanzen - testen sie die idealen Wachstumsbedingungen in Algenlösung und evaluieren in Absprache mit einer ähnlichen Einrichtung in den Niederlanden ihre Ergebnisse.

Eine Betriebsanlagengenehmigung für sein Unternehmen braucht Kristen übrigens nicht. Nach der Urprodukteverordung nämlich "ist das Vermehren von Pflanzen eine landwirtschaftliche Tätigkeit", erklärt der Großstadtbauer inmitten von sündteurem Hightech-Equipment. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 23.5.2014)


Links

floweryfield.com

Videoreportage von VICE Alps über die Plantage

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger