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Auf der italienischen Seite des Brennerbasistunnels hagelt es Kritik an dem milliardenschweren Projekt.

Foto: apa/hildebrand

In Italien, insbesondere an der Mailänder Universität Politecnico, regiert Skepsis hinsichtlich des Brennerbasistunnels (BBT). Der Verfasser einer 2008 erstellten Kosten-Nutzen-Analyse, Dozent Raffaele Grimaldi, hat errechnet, dass Kosten und Nutzen 2030 im Verhältnis 1:0,7 liegen.

Grimaldi geht davon aus, dass der Warenverkehr über den Brenner 2030 mit geschätzt 55 Millionen Tonnen um rund 30 Prozent unter den damaligen Erwartungen liegen wird. Das prognostizierte Warentransportaufkommen von 78 Millionen Tonnen bezeichnete der Verkehrsexperte im STANDARD-Gespräch im Hinblick auf jüngste Erhebungen (2012: 40,6 Mio. Tonnen, davon 29,8 Mio. auf der Straße und 11,2 Mio. auf Schiene) als unwahrscheinlich.

Weitere Projekte

Gemeinsam mit seinem Kollegen Marco Ponti von der technischen Hochschule Politecnico erstellte er die von BBT in Auftrag gegebene Rentabilitätsstudie "Licht am Ende des Tunnels?". Die 2012 fertiggestellte Untersuchung wurde weitgehend von der Öffentlichkeit ferngehalten. Es herrsche kein Interesse der Politiker und Unternehmer, die Öffentlichkeit über Kosten und Nutzen und vor allem die geringe Rentabilität der mit öffentlichen Mitteln finanzierten Infrastrukturprojekte zu informieren, hieß es in Mailand.

Beide Experten zeigten sich von der Wirksamkeit des BBT wenig überzeugt. Auch wenn Ponti beteuerte: "Im Vergleich zu ähnlichen Tunnelprojekten in Italien hat der Brennerbasistunnel noch die größte Glaubwürdigkeit." Der Tunnel soll bis 2025 fertiggestellt sein. Am Politecnico Milano geht man von Baukosten in Höhe von 8,2 Milliarden Euro aus.

In Italien wurde nicht nur mit den Bauarbeiten am Brenner, sondern auch für den Frejus-Durchstich (Strecke Turin-Lyon) und die Hochgeschwindigkeitsverbindung Mailand-Genua begonnen. "Der Beginn der Bauarbeiten bedeutet keineswegs, dass es einen politischen Willen zur Fertigstellung des Projektes gibt." Sowohl die Lobbys der Industrie als auch die Politiker arbeiten hier Hand in Hand. Ziel sei es, die verschiedensten Projekte "leben zu lassen", um damit jährlich eine Finanzierung zu erhalten.

Fehlende Analysen

"Die Kosten-Nutzen-Analyse für den BBT fiel negativ aus. Vor allem hat das keinerlei Auswirkungen auf die Beschäftigung, da die Arbeiten mit vollautomatisierten Maschinen durchgeführt werden. Da das Beschäftigungsproblem in Italien Vorrang hat, müsste beschäftigungsintensiven Projekten Vorrang gegeben werden", sagte Ponti. Abgesehen davon, dass die Prognose über die Zunahme des Personen- und Warenverkehrs zweckoptimistisch sei, kritisierte der Professor den vollständigen Mangel an Analysen über die finanzielle Rentabilität.

"Offensichtlich ist bei Bahnprojekten die Rentabilität des eingesetzten Kapitals negativ. Doch es sollten zumindest Versuche unternommen werden, die öffentlichen Gelder besser einzusetzen." Kritik übt Ponti auch an technischen Einzelheiten, wie etwa der Zufahrt zum BBT in Südtirol. Zwischen Waidbruck und Sterzing musste ein Zufahrtstunnel in S-Form in Bergtal errichtet werden. Der Kostenvoranschlag dafür mache allein 1,7 Milliarden Euro aus. Auch Umweltanalysen über etwaige negative sozioökonomische Effekte fehlten. (Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand, DER STANDARD, 12.5.2014)