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Pro-russische Aktivisten auf einem erbeuteten Panzer in Mariupol in der Ostukraine.

Foto: AP Photo/Evgeniy Maloletka

Kiew/Warschau - Unmittelbar vor dem für Sonntag geplanten Referendum in der Ostukraine hat die Führung in Kiew vor einer Spaltung des Landes gewarnt. Für die Regionen Donezk und Luhansk (Lugansk) wäre ein "Ja"-Votum "ein Schritt in den Abgrund", erklärte Übergangspräsident Alexander Turtschinow am Samstag auf seiner Website.

"Diejenigen, die für eine Selbstverwaltung eintreten, verstehen nicht, dass dies eine vollständige Zerstörung der Wirtschaft, der Sozialprogramme und des Lebens im allgemeinen für die Mehrheit der Bevölkerung in diesen Regionen bedeuten würde."

"Terroristen"

Er erneuerte seine Bereitschaft, an einem Runden Tisch Gespräche über mehr Autonomie zu führen. Allerdings dürften "Terroristen" daran nicht teilnehmen, schränkte er mit Blick auf Rebellen ein, die Polizei- und Regierungsgebäude besetzt haben.

Es wird befürchtet, dass die Ukraine nach dem Referendum in Chaos abgleiten könnte und geplanten Präsidentenwahlen am 25. Mai dadurch verhindert würden. Die Regierung in Kiew lehnt das Referendum in den russischsprachigen Regionen als illegal ab. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin hat davon abgeraten. Dennoch wollen die Separatisten die Abstimmung durchziehen, auch wenn unklar ist, was genau beschlossen werden soll.

Auf dem Stimmzettel soll mit Ja oder Nein beantwortet werden, ob man eine staatliche Eigenständigkeit der in Donezk und Luhansk von den Separatisten ausgerufenen Volksrepublik unterstützt. Ob das mehr lokale Rechte, eine breite Autonomie, Unabhängigkeit oder gar ein Schritt Richtung Aufnahme in die Russische Föderation bedeutet, ist umstritten.

"Saboteure mit Sprengstoff und Waffen"

Die prorussische "Volkswehr-Milizen" in Slawjansk haben mehrere Dutzend Gegner gefangen genommen, wie "Volksbürgermeister" Wjatscheslaw Ponomarjow am Samstag in der ostukrainischen Stadt bei einer Pressekonferenz bekannt gab. Ponomarjow sagte laut russischer Nachrichtenagentur RIA Novosti, unter den Gefangenen befänden sich "Menschen, die sich als Journalisten ausgeben".

Es gebe auch Saboteure mit Sprengstoff und Waffen, fügte Ponomarjow hinzu. Der selbst ernannte "Bürgermeister" war kürzlich zu internationaler Bekanntheit gelangt, als er eine Gruppe ausländischer Militärbeobachter eine Woche als "Kriegsgefangene" festhalten ließ.

Nach Ponomarjows Angaben wurden seit dem Beginn der Kampfhandlungen zwischen ukrainischer Armee und prorussischen Kämpfern in Slawjansk insgesamt 20 Menschen getötet und rund 30 verletzt worden.

Estland will NATO-Einheiten im Baltikum

Das EU- und NATO-Mitglied Estland dringt zum Schutz vor Russland auf eine dauerhafte Stationierung von NATO-Einheiten im Baltikum. "Ein langfristiger militärischer Fußabdruck der Verbündeten in unserer Region würde die Bevölkerungen an der Frontlinie der Allianz rückversichern", sagte der estnische Verteidigungsminister Sven Mikser der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Zudem würde die dauerhafte NATO-Präsenz "als machtvolle Abschreckung gegen jeden möglichen Aggressor dienen". Es gehe nicht nur um die Stationierung von Truppen, es müsse auch ernsthaft erwogen werden, Rüstungsgüter vorzuverlagern, "um die Logistikkette zu verkürzen, sollte eine Krise kurzfristig heraufziehen", so Mikser. Bisher hat die NATO mit Rücksicht auf Russland davon abgesehen, Kampftruppen und Material in den östlichen Mitgliedstaaten zu stationieren.

"Volksrepubliken"

In den ostukrainischen Regionen Donezk und Lugansk ist den Behörden die Kontrolle trotz einer "Anti-Terror-Operation" der Armee weitgehend entglitten. Prorussische Separatisten riefen dort zwei "Volksrepubliken" aus.

Mehr als drei Millionen Menschen in diesen beiden russisch geprägten Gebieten sollen am Sonntag entscheiden, ob sie eine Abspaltung vom Rest des Landes unterstützen. Gestellt wird die Frage nach einer staatlichen Eigenständigkeit der Region. Die Europäische Union und die USA lehnen die Abstimmung ab, ebenso die Vertreter der Zentralregierung in Kiew. Sie setzen vielmehr auf die Präsidentenwahl am 25. Mai, um den Konflikt zu entschärfen.

Zusammenstöße vor Volksbefragung

Doch neue blutige Zusammenstöße mit mehreren Toten heizen die Stimmung vor der für Sonntag geplanten Volksbefragung weiter auf. Nach Angaben der Behörden starben am Freitag bei Gefechten in Mariupol mindestens sieben Menschen, knapp 50 wurden verletzt. Ursprünglich waren mindestens 20 Tote gemeldet worden.

Auch aus Donezk gab es Berichte über ein Gefecht, bei dem mehrere Menschen verletzt worden seien. Nach Angaben prorussischer Separatisten wurden dort auch mehrere Mitarbeiter des Roten Kreuzes gefangen genommen. Sie seien am Freitagabend unter Spionageverdacht festgenommen worden und die Vorwürfe würden derzeit geprüft, sagte ein Sprecher der "Volksrepublik Donezk", Kiril Rudenko, am Samstag. Laut Angaben des Internationalen Roten Kreuz wurden sie mittlerweile wieder freigelassen. Am Freitag wurden auch Schießereien aus Slawjansk gemeldet.

Allen Mäßigungsappellen zum Trotz ordnete die Regierung in Kiew indes an, dass ihre Soldaten die Separatisten weiter bekämpfen sollen. Übergangspräsident Alexander Turtschinow und Ministerpräsident Arseni Jazenjuk lehnten eine Beteiligung der Separatisten an Gesprächen etwa an einem Runden Tisch erneut ab.

"Provokativ und unnötig"

Ungeachtet einer Bitte Putins um Verschiebung beharren die Separatisten auf der Volksbefragung. War die Forderung des Kremlchefs noch positiv gewertet worden, so trat dieser nun wieder aggressiver gegenüber Kiew und dem Westen auf: Im Anschluss an die traditionelle Militärparade in Moskau zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland reiste er demonstrativ auf die abtrünnige ukrainische Krim, die Russland im März annektiert hatte. Dort nahm er eine Parade von zehn Kriegsschiffen sowie 70 Kampfflugzeugen und Hubschraubern ab. Die USA kritisierten Putins Krim-Besuch als "provokativ und unnötig", NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nannte ihn "unangemessen". (APA, 10.5.2014)