Nein, diese Männer schlafen nicht - sie meditieren.

Foto: elm

U-Bahn-Station Schottentor zur Stoßzeit um halb sieben Uhr abends: Kaum öffnen sich die Türen, drängen von draußen Menschen in den Wagon hinein, während sich andere noch einen Weg aus der überfüllten U-Bahn bahnen. Im Inneren des Wagons bietet sich ein mittlerweile gewohntes Bild: Die Leute wischen starrenden Blickes auf ihrem Smartphone herum oder telefonieren, andere lesen Zeitung.

Die erfahrenen Meditierer lassen sich in der U-Bahn nicht aus der Ruhe bringen.

Inmitten dieser feierabendlichen Hektik ziehen vier Männer, die mit geschlossenen Augen und den Händen im Schoß völlig entspannt auf einem Viererplatz sitzen, die Blicke der anderen Fahrgäste auf sich. "Was, glaubst du, machen die da?", flüstert eine Jugendliche ihrer Freundin am Nachbarplatz zu. "Schaut aus wie irgendwas mit Meditieren", antwortet die andere und hat damit recht. Denn der Wiener Shaohui He organisiert seit 2012 einmal im Monat unter dem Namen "I Meditate Vienna – Urban Meditation" eine Gemeinschaftsmediation in der Wiener U-Bahn. Durch diese sollen Menschen lernen, Momente im Alltag für sich zu nutzen und sich nicht in der Schnelllebigkeit unserer Welt zu verlieren, erklärt der 37-jährige Fotograf.

Innere Ruhe trotz äußeren Lärms

Weshalb sich die U-Bahn, die nicht gerade als Ort der Stille bekannt ist, für Meditation trotzdem eignet, erklärt He wie folgt: "Wir sind im Alltag in der Stadt an vielen Orten unterwegs, wo es laut und stressig ist. Bei der U-Bahn-Meditation geht es darum, wie man trotz des äußeren Lärms innerlich ruhig und bei sich bleiben kann." Er vergleicht die Situation mit dem Fels in der Brandung. "Während die Wellen des Meeres auf den Felsen peitschen, ruht dieser einfach in sich."

Die Gruppenmeditation dauert jeweils eine U-Bahn-Strecke lang. An diesem Abend geht die Reise für He und die drei anderen Teilnehmer von der U2-Station Karlsplatz bis zur Seestadt. Die Fahrtzeit für die 19 Stationen beträgt in etwa 30 Minuten. Im Schnitt seien rund zehn Teilnehmer anwesend, sagt He. Die meisten von ihnen haben bereits Meditationserfahrung.

So wie zum Beispiel der Religionswissenschafter Matthias Grümayer, der täglich zu Hause meditiert. Seit er mit He zum ersten Mal gemeinsam in der U-Bahn meditiert hat, versucht er, diese Praxis auch allein anzuwenden. "Anstatt mein Handy in der U-Bahn rauszuholen, konzentriere ich mich auf meinen Atem und versuche, mich zu sammeln", sagt Grümayer.

Zehn bewusste Atemzüge

Aber auch Teilnehmer ohne Meditationserfahrung sind herzlich willkommen. Diesen gibt He den Tipp, sich ruhig hinzusetzen, die Augen zu schließen oder auch nicht und bewusst einzuatmen. "Das Ziel sind zehn bewusste Atemzüge", sagt He.

Für Teilnehmer Günther Hanninger, der ebenfalls schon öfter dabei war, ist bei der U-Bahn-Meditation vor allem interessant, was im Wagon passiert: "Der Raum wird viel ruhiger, es entsteht eine Art bewusstere Alltagskultur." Wichtig ist ihm, dass die spirituelle Praxis frei von Ritualen und Religion ist und allen offensteht. "Wir wollen einfach zeigen, dass es diese Art des Seins gibt, ohne zu sprechen." (Elisabeth Mittendorfer, derStandard.at, 12.5.2014)