Foto: Lukas Friesenbichler

Andy hatte nicht gerade das gehabt, was man eine leichte Kindheit nennt. Sein Problem hieß Gabrielle. Gabrielle war seine Mutter. Mit Pete, Andys Vater, hatte es nicht lange geklappt, er verließ seine Frau und sein Kind kurz nach Andys zweitem Geburtstag. Das erste Jahr zahlte er noch Alimente, danach musste Gabrielle sich und den Jungen alleine durchbringen.

Gabrielle arbeitete ganztags in einem Supermarkt, und so wurde Andy mehr vom Fernsehgerät als von seiner Mutter großgezogen. Gabrielle hatte immer nur MTV eingestellt, und Andy hatte schon als Kleinkind die Songs und die Moves der wichtigsten Popgrößen seiner Zeit drauf. Bald unterhielt er die Geburtstagsgesellschaften seiner Verwandtschaft mit kleinen Karaoke-Einlagen und Tanzauftritten.

Foto: Lukas Friesenbichler, Werbemotiv von Steven Klein

Gabrielle erkannte das Talent ihres Sohnes sowie ihre Chance auf ein mittelfristiges Entkommen aus ihrem tristen Vorstadtleben. Sie nahm noch einen zweiten Job an und engagierte einen Voice- und einen Dancecoach für Andy. Deren Arbeit trug bald Früchte, und Andy gewann die Kiddy Contests der nördlichen US-Bundesstaaten in Serie. Den Jackpot knackte er allerdings, als er sich im Casting für den Mickey Mouse Club gegenüber 100.000 jugendlichen Mitbewerbern durchsetzte.

Mit 13 zog Andy mit seiner Mutter Gabrielle von Maine nach Orlando, Florida. Justin Timberlake und Ryan Gosling wohnten im Apartmentgebäude auf dem Studiogelände auf derselben Etage, Britney Spears und Christina Aguilera eine darüber. Wenn ihre Mütter shoppen waren, hatten Andy und die anderen Mouseketeers ziemlich viel Spaß. Sie spielten Flaschendrehen und redeten über Sex. Manchmal streifte Andy aber auch einfach nur alleine in Disneyworld herum. Er hatte da freien Eintritt.

Irgendwann liefen die Dinge nicht mehr so rund. Alle anderen starteten nach ihrer Zeit beim Mickey Mouse Club mordsmäßige Karrieren, nur bei Andy klappte es nicht. Die Engagements wurden immer weniger und waren immer schlechter bezahlt, und schließlich ließ er es ganz. Er hatte eh genug von der Hopserei. Er konnte nicht mehr. Seine Batterien waren leer.

Abseits der Showbühne bekam Andy noch viel weniger auf die Reihe. Seit er den Batman-Film mit Heath Ledger gesehen hatte, schminkte er sich in seinem Zimmer jeden Tag als Joker, jeden einzelnen Tag. Er ging kaum mehr aus dem Haus, alles ängstigte ihn. Gabrielle saß nebenan im Wohnzimmer auf der Couch und schüttete vor der Glotze Cola-Rum in sich rein. Sie konnte es nicht fassen, dass der Junge sie so enttäuschte. Da hatte sie alles für ihn geopfert, er hätte solche Möglichkeiten gehabt, und dann das. (Stefan Ender, derStandard.at, 11.05.2014)