Tatjana Lackner ist Gründerin der Schule des Sprechens. Aktuelles Buch: "Die Kommunikationsgesellschaft - Lackners Labor", Austrian Standards plus.

Foto: HO

Alle guten Präsentatoren punkten durch handwerklich gelungenes Storytelling. Wichtig ist bei dieser wirksamen Erzählmethode, dass nur wahre Situationen verwenden werden, mit denen sich Zuhörer identifizieren können. Immer wird in der ersten Person erzählt, im Präsens oder Perfekt. Das Gedankenzitat ("Ich dachte ...") und der innere Monolog schaffen sogar bei TV-Serien Identifikation. Wesentliches Stilmittel ist die direkte Rede.

Die wichtigste Nachricht für Geschichtenliebhaber ist jedoch: Storytelling funktioniert beim Gegenüber nur, wenn es wohldosiert und situationsadäquat eingesetzt wird. Der gutgelaunte Anekdotenonkel nervt. Es gibt viele Beispiele, die belegen, wie und warum Storytelling funktioniert. Das Video eines obdachlosen Blinden beispielsweise, der an einer Straßenecke sitzt mit einem Schild, auf dem steht: "Ich bin blind, bitte geben Sie mir fünf Dollar." Kaum eine Münze liegt in seinem Beutel.

Der Zuseher sieht nun, dass eine junge Frau vorbeikommt. Sie nimmt ihm das Schild weg und schreibt etwas anderes darauf. Bald bekommt er zuerst eine Münze zugeworfen, danach zwei, und eine Kameraeinstellung weiter hat er schon viele Almosen gesammelt. Nun fängt die Kamera das Schild ein und lüftet das Geheimnis für den Zuseher. Das Mädchen hat sein Schild durchgestrichen und stattdessen darauf geschrieben: "Heute ist ein schöner Tag. Leider kann ich ihn nicht sehen."

Dem Gutbereisten wird schon aufgefallen sein, dass amerikanische Bettler in Sachen Eigenmarketing dem grantelnden "Wiener Obdachlosen" einiges an Kreativität voraushaben: "Ninja kidnapped family! Need four Dollars for Karate Lesson." Sie verpacken ihr Almosengesuch in Geschichten und wirken damit wesentlich freundlicher und weniger negativ. Geld brauchen alle. Dennoch fühlt man sich von jemandem, dessen Ironie uns schmunzeln lässt, nicht belästigt. Auf Key West werden bettelnd kleine Geschäfte gemacht: "Dirty joke for one Beer." In den Straßen Manhattans kann man sich überlegen, ob einem das flotte Therapiegespräch am Gehsteig zwei Dollar wert ist: "I listen to your problems for two Dollars." Das europäische "Entschuldigung, ich bräuchte"-Prinzip ist sogar in diesem Metier deutlich weniger charmant als die "Für dich hab ich mir was überlegt"-Methode.

Viele Menschen, die es grundsätzlich ablehnen, Bettlern Geld zu geben, haben schon lächelnd eingewilligt, weil sie die Initiative des Obdachlosen belohnen. Manche "Geldgeber" schätzen auch einfach die Tatsache, dass jemand mit seinem Einzelschicksal das Stadtbild nicht traumatisiert, sondern zur besseren Atmosphäre etwas beiträgt. Wir hören genug Bad News, niemand möchte auf der Straße für weitere Hiobsbotschaften oder Depressivmacher "zahlen". Fazit: Wer es schafft, Hirn und Herz seines Gegenübers anzusprechen, der ist in der Rhetorik bereits weit gekommen. Mit sperrigen Inhalten punktet niemand. Storytelling-Elemente versüßen das Zuhören. Wer Emotionen erzeugt, bleibt in Erinnerung. (Tatjana Lackner, DER STANDARD, 10./11.5.2014)