Wladimir Putin hat die Wende vollzogen und wirkt konstruktiv bei der Stabilisierung der Ukraine mit: Man wollte es so gerne glauben, als der russische Präsident am Mittwochabend vom Kreml aus die Separatisten der Ostukraine aufrief, ihr von Kiew nicht anerkanntes Abspaltungsreferendum zu verschieben. Einer der Anführer der "Republik Donezk" bekundete prompt "großen Respekt" vor dem Kremlchef, und der Aufschub des Referendums schien nur noch Formsache.

Aber keine 24 Stunden später war klar, dass es bei der "Volksabstimmung" bleibt. Und da die Kiewer Regierung ihre "Antiterroroperation" gegen die Gebäudebesetzer im Osten fortsetzt, würde es an ein Wunder grenzen, wenn die Präsidentschaftswahl am 25. Mai unter regulären Bedingungen ablaufen könnte. Wunder aber sind keine historische Kategorie.

Putin jedenfalls kann die Truppenparade am heutigen Feiertag, der an den Sieg im Zweiten Weltkrieg erinnert, nicht nur als der Mann abnehmen, der die Krim heim ins russische Reich geholt hat. Er kann sich auch als ein Mann des Friedens präsentieren: Hat er nicht die ukrainischen Separatisten zu zähmen versucht? Hat er nicht den Abzug der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze bekanntgegeben? Und hat er nicht die Präsidentschaftswahl in der Ukraine als Schritt in die richtige Richtung bezeichnet?

Wenn die Separatisten aber so autonom sind, dass sie nicht auf ihn hören, und die Präsidentschaftswahl, wenn überhaupt, irregulär verläuft - ist das Putins Schuld? Außerdem ist Russland im Ukraine-Konflikt ja gar nicht Partei, wie der Präsident bei seiner Erklärung hinzufügte. Der Ball liegt somit bei der Kiewer Regierung (vom Kreml mit Vorliebe als "Junta" tituliert) und deren westlichen Verbündeten. An ihnen liegt es, die Separatisten für eine friedliche Lösung zu gewinnen.

Kann man dies alles für bare Münze nehmen? Kann man Putin noch Glaubwürdigkeitskredit gewähren? Zur Erinnerung: Nach vollzogener Annexion der Krim gab er zu, was er zuvor strikt abgestritten hatte: dass russisches Militär während des Abspaltungsprozesses präsent war.

Das Ganze sieht eher nach einer groß aufgezogenen Schmierenkomödie aus, über die freilich niemand lachen kann. Das Argument, Russland habe keinen Einfluss auf die Separatisten, ist umso lächerlicher, als diese die festgehaltenen OSZE-Beobachter nach Intervention eines russischen Vermittlers freiließen.

Aber so wahrscheinlich die These eines abgekarteten Spiels auch ist - das enthebt die Führung in Kiew nicht ihrer Mitverantwortung für das weitere Geschehen. Von ihr sind zwar immer wieder einzelne Vorschläge für eine föderale Umgestaltung des Staates mit weitreichender Autonomie für die Regionen gekommen. Ein umfassendes, in sich schlüssiges Konzept war bisher aber nicht darunter. Das dürfte auch an den internen Machtkämpfen liegen, die sich offenbar verschärfen, je näher der Wahltermin rückt. Den Separatisten und ihren Helfern liefert es jedenfalls willkommene Argumentationshilfe.

Ob jetzt CIA und FBI die ukrainische Regierung tatsächlich, wie berichtet wird, beim Militäreinsatz gegen die prorussischen Aktivisten beraten: Wäre schnelle und nachdrückliche westliche Hilfe bei der Ausarbeitung einer neuen, mehrheitsfähigen Staatsstruktur nicht mindestens so sinnvoll? (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 9.5.2014)