Wien - In einem "Manifest gegen die Krise der Ökonomie" haben Wirtschaftsstudenten aus 19 Ländern, darunter auch der Wirtschaftsuni (WU), zuletzt die besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre kritisiert und eine Neuausrichtung der Volkswirtschaften gefordert. Rektor Christoph Badelt weist den Vorwurf von zu wenig Vielfalt jedoch entschieden zurück - die WU hier zu kritisieren sei geradezu paradox.

Er könne zwar im wissenschaftlichen Diskurs die Kritik an den Mainstream-Wirtschaftswissenschaften nachvollziehen: Diese entfernten sich oft von den realen Problemen, was durch die vorherrschende Lehre der Neoklassik begünstigt werde. "Aber im Lehrangebot gibt es viele Bereiche, wo Alternativen gelebt werden - gerade an der WU."

Badelt verweist auf Sozioökonomie

Natürlich habe das Rektorat die Verantwortung, durch strukturelle Maßnahmen Pluralismus in der Lehre sicherzustellen. Das passiere an seiner Uni auch, verwies Badelt etwa auf ein eigenes Studium der Sozioökonomie und der Socio-Ecological Economics - wo genau das umgesetzt werde, was im Manifest als fehlend kritisiert wird. Dazu kämen zahlreiche WU-Initiativen für Nachhaltigkeit, z.B. die Gründung eines eigenen Kompetenzzentrums oder die Ausschreibung einer eigenen neuen Professur für soziale Nachhaltigkeit.

Lehrende sind frei

Die von der Initiative kritisierten Studienpläne seien durch das Gesetz ausdrücklich in der Selbstverwaltung der Studienkommissionen, in denen auch die Studierenden sitzen. Was dann aber innerhalb einer Lehrveranstaltung passiert, müsse aufgrund der Wissenschaftsfreiheit den einzelnen Lehrenden überlassen sein. Niemand hindere die Unterzeichner des Manifests, die zum Teil selbst Lehrveranstaltungen anbieten, dort den Pluralismus der Lehrmeinungen zu praktizieren, und zum Beispiel Postkeynesianismus zu unterrichten. Das Rektorat habe in seiner Kampagne "Rethink Economy" sogar ausdrücklich dazu aufgefordert, eine Vielzahl von Lehrmeinungen in die Lehrveranstaltungen einzubauen. "Es wäre aber katastrophal, wenn ein Rektor wirklich Lehrinhalte beeinflussen oder festlegen könnte." Insofern mache ihn die Kritik des Manifests sprachlos.

Disslbacher fordert mehr Vielfalt in Lehre

Franziska Disslbacher von der Gesellschaft für Plurale Ökonomik an der WU, die das Manifest unterzeichnet hat, hält unterdessen an ihrer Kritik fest. Es stimme zwar, dass es an der WU mit der Sozioökonomik und dem Nachhaltigkeitszentrum im internationalen Vergleich vorbildliche Initiativen gebe. "Aber das ist nicht das, worum es uns geht: In der Forschung haben wir eine vergleichsweise große Vielfalt, die sich aber nicht in der Lehre widerspiegelt und zunehmend zurückgedrängt wird.". Sie fordert deshalb mehr Vielfalt in den vermittelten Theorien. "Wenn in den Grundlagen der Makro- und Mikroökonomik so getan wird, als gäbe es nur einen Ansatz, hat das in letzter Instanz auch Auswirkungen auf die Gesellschaft", begründet sie das Anliegen der Unterzeichner des Manifests.

Studenten der Uni Wien schließen sich an

Unterdessen hat sich auch an der Uni Wien die Studierendenvertretung der Volkswirtschaftslehre den Forderungen des Manifests angeschlossen. Studenten kämpfen dort mit dem "Roten Börsenkrach" schon seit Jahrzehnten für eine vielfältigere Lehre, bisher seien jedoch nur kleine Schritte in diese Richtung gemacht worden, heißt es in einer Stellungnahme. Das Studium bestehe großteils aus theoretischen Modellen, die kaum empirisch untermauert seien und deren Realitätsbezug nur unzureichend erläutert werde. Kritisches Hinterfragen werde nicht gelehrt. "Es ist durchaus möglich, das Studium abzuschließen, ohne sich jemals wirklich mit der aktuellen Wirtschaftskrise auseinandergesetzt zu haben."

Erkenntnisse aus anderen Sozialwissenschaften würden ignoriert oder nicht ernstgenommen und vermittelt, dass Ökonomie eine wertfreie Wissenschaft sei, in der alle Grabenkämpfe längst beigelegt seien. "Diese unreflektierte Entwicklung ist bedenklich, sogar gefährlich, insbesondere in Anbetracht der politischen und beruflichen Funktionen, die viele unserer Studienkolleg/inn/en eines Tages einnehmen könnten", warnen die Studentenvertreter. (APA, 8.5.2014)