Wien/Berlin - Nur jeder hundertste Roma studiert. Die Statistik von Unicef sorgte 2010 für Aufsehen. Schließlich sind die Roma mit zirka sieben Millionen Menschen die größte ethnische Minderheit Europas. Seit Veröffentlichung der Studie hat sich dennoch wenig getan - nun schlagen internationale Organisationen erneut Alarm. In ihrem Bericht vom April kritisiert Amnesty International wiederholt die Diskriminierung der Roma beim Zugang zur Bildung. Vor diesem Hintergrund rief die Europäische Studenten Union (ESU) vor wenigen Wochen zu einer Aktion auf, um Solidarität mit den Roma zu zeigen.

Diskriminierung und Hassreden - wie beispielsweise unter den studentischen Anhängern der Jobbik-Partei in Ungarn - gegen Roma seien nur einer von vielen Gründen für die Ausgrenzung an Universitäten, sagt Gabriela Bergan, bei der ESU zuständig für Menschenrechte. Schulen und Universitäten mangele es an "kulturellem Feingefühl und Unterstützungsangeboten, um Roma zu integrieren". Auch Regierungen würden sich nicht genug engagieren, sagt Bergan und mahnt: "Regierungen und Universitäten müssen gemeinsam aufstehen für eine sichere und diskriminierungsfreie Bildung, auch für Roma."

Österreich bildet bei den Diskriminierungen keine Ausnahme. "Wir haben in den letzten Jahren eine Zunahme von Studierenden, die sich an uns wenden, bemerkt", sagt Lydia Anstiss von Thara, dem Romaprojekt der Volkshilfe. Zahlen darüber, wie viele Roma in Österreich studieren, kenne man zwar nicht, halte aber Kontakt mit "etwa zwei Dutzend" Romaakademikern, die meist in Serbien oder in Wien ihren Uni-Abschluss gemacht haben. Sie hält es für möglich, dass die zweite oder dritte Generation eingewanderter Roma, im Gegensatz zu ihren Eltern, vermehrt studiert. Das größte Hindernis für tertiäre Bildung sei jedenfalls die Armut: "Viele Familien können es sich nicht leisten, ihre Kinder ins Gymnasium oder zur Uni zu schicken."

Stipendien für Roma

Aus diesem Grund hat in Tschechien, wo es ebenfalls kaum Roma an die Uni schaffen, der Verein Romea ein eigenes Stipendium geschaffen, um Romakinder an die Unis zu bringen. Seit 2010 wurden 151 Stipendien vergeben, und obwohl das Stipendium mit 800 Euro pro Jahr die Lebenserhaltungskosten bei weitem nicht abdecken kann, gibt es viel mehr Bewerber, als gefördert werden können. Am häufigsten studieren die Stipendiaten Wirtschaft, Geisteswissenschaften und Lehramt. Weniger beliebt dagegen sind Medizin oder technische Studien.

Auch in Deutschland ist es für Roma schwierig, einen Studienplatz zu bekommen. Als sich der Roma Orhan Sokoli, Jahrgang 1982 und gebürtiger Serbe, 2006 an der ostdeutschen Hochschule Mittweida für Medienmanagement einschrieb, hatte er bereits zahlreiche Hürden überwunden. "Obwohl ich schon zehn Jahre in Deutschland gelebt hatte, war ich nur geduldet", erinnert sich Sokoli. Erst nachdem er das Innenministerium angeschrieben habe, bekam er die nötige Aufenthaltserlaubnis. Man hätte ihn damals behandelt wie jemanden, der frisch zum Studieren eingereist wäre. Und so musste er nach Studienabschluss noch eine Arbeitserlaubnis beantragen. "16 Jahre lang bin ich wie ein Ausländer behandelt worden", erregt sich Sokoli.

Neben der Gesetzeslage störe ihn vor allem, dass nur die negativen Seiten seiner Volksgruppe bekannt seien. Viele Roma hätten aber "großes Potenzial". Er ist dafür das beste Beispiel. Der 31-Jährige dreht heute Filme und hat damit schon einige Preise eingeheimst. Zurzeit plant er eine neue Produktion. Es wird ein positiver Film, und auch das Thema darf Orhan Sokoli schon verraten: Es geht um Roma. (Robert Schmidt, DER STANDARD, 8.5.2014)