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Ute Kätzel:
Die 68erinnen
Porträt einer rebellischen Frauengeneration. € 23,60/315 S., Rowohlt Berlin, 2002.
Foto: Archiv
In den von männlichen 68ern verfassten Erinnerungsbüchern werden die "Bräute der Revolution" nicht namentlich genannt. Viele Fotos von Frauen, die in der Zeit um '68 in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt wurden, sind aus den Pressearchiven aussortiert worden. Keine ist so berühmt geworden wie Daniel Cohn-Bendit und Rainer Langhans, keine so berüchtigt wie die nach rechts geschwenkten 68er Horst Mahler und Bernd Rabehl.

Selbst Frauen, die sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und in der Gesamtbewegung durchaus wahrnehmbar hervorgetan haben, spielen in der historischen Aufarbeitung nur Nebenrollen. Wie damals, als der vor allem von Müttern erlebte Widerspruch zwischen Anspruch und Realität so lange von den Männern als Nebenwiderspruch ignoriert und lächerlich gemacht wurde, bis die Tomaten flogen: Die legendären Tomaten, von Sigrid Rüger am 13. September 1968 während der Rede der Filmemacherin Helke Sander auf den Vorstandstisch der 23. Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt geworfen, gelten als Geburtsstunde der Neuen Frauenbewegung.

Die Revolte in der Revolte hatte weit reichende Auswirkungen auf die bundesrepublikanische Gesellschaft. "Frauen waren der revolutionärste Teil dieser nur etwas revolutionären Bewegung", resümiert die Malerin und Berliner 68erin Sarah Haffner. Die Historikerin und Soziologin Ute Kätzel, Jahrgang 1955, hat in ihrem Buch vierzehn 68erinnen mit Berlin-Bezug zwischen 51 und 67 Jahren porträtiert, mit Fotos von heute und damals.

Entstanden ist ein hochinteressanter Einblick in die gelebte Geschichte von Frauen, die aufbrachen, die Gesellschaft zu revolutionieren, und dabei sich selbst und ihre Beziehungsstrukturen von Grund auf umkrempelten. Bis auf drei haben alle Kinder, die Mitbegründerin der Kommune 1 Ost Erika Berthold sogar vier.

Gemeinsam ist allen, dass sie sich selbst treu geblieben sind: Keine distanziert sich von ihrer Geschichte. Für alle war die Phase des Aufbruchs aus dem Mief der Nachnazizeit - samt den radikalen Verirrungen - ein Lernprozess. Nur wenige sind explizite Feministinnen geworden, auch wenn keiner das unterschiedliche Agieren von Männern und Frauen in der APO entging.

Die Einschätzung, wie sehr Frauen in der 68er-Bewegung diskriminiert wurden, fällt unterschiedlich aus. Einige fühlten sich von den Männern gefördert. So wurde Sigrid Fronius am 8. Mai 1968 zur AStA-Vorsitzenden der Freien Universität gewählt und für viele Frauen zum Vorbild. Andere beschreiben den arroganten Anspruch der APO-Genossen, von den Frauen bewundert und bedient zu werden. Aber nur "Freundin von" war keine. Die als selbstverständlich geltende Verantwortung für Haushalt und Kinder ließ Frauen bloß praktischer agieren als die meisten Männer, die Zeit für Marx-Exegesen hatten. Frauen setzten die Kinderladenbewegung in Gang, deren antiautoritärer Ansatz die Kindererziehung revolutionierte.

Die wilde Entschlossenheit, mit der die jungen Frauen mit ihrer traditionellen Frauen- und Mütterrolle brachen, ist umso eindrucksvoller, wenn man bedenkt, dass die meisten noch in der Nazizeit geboren wurden und keine positiven Frauenvorbilder hatten. Umso mehr verwundert es, dass keine ihren Protest direkt mit dem Verhalten ihrer Eltern in der Nazizeit in Zusammenhang bringt.

Die meisten 68erinnen in Ute Kätzels Buch sprechen über ihre Eltern wie die Mehrheit der deutschen Bevölkerung auch heute noch: Sie waren dabei, aber nicht aus Überzeugung; eigentlich war mein Vater ein ganz unmilitärischer und liebevoller Mann; beide waren Mitglieder der NSDAP, wurden aber später ausgeschlossen, weil sie keine Mitgliedsbeiträge bezahlten; später hörte meine Mutter Feindsender; die Mutter erzählte, wie sie Juden heimlich Brot zusteckte . . .

Ute Kätzel vertritt die These, dass der Vietnamkrieg der 68er-Generation die Gelegenheit bot, den in der eigenen Familie verdrängten Krieg zum Thema zu machen. Die sowohl zu Hause als auch in der gesamten Gesellschaft tabuisierte Nazivergangenheit scheint von vielen 68erinnen in ihrem Buch eher als kulturelles Phänomen erlebt worden zu sein: Erziehung zu Gehorsam und patriarchaler Frauenrolle, Erziehung zum Verschweigen von Unangenehmem.

Als ausgesprochen zwiespältig wurde die so genannte sexuelle Revolution erlebt, die zudem eine ausschließlich heterosexuelle war. Der Bruch mit der Doppelmoral der Spießer war für alle Frauen in Kätzels Buch befreiend, doch nicht jede hatte Lust auf ständigen Partnerwechsel, nur um zu beweisen, dass sie nicht bürgerlich war. "Jemand zu lieben war irgendwie falsch", sagt Gretchen Dutschke-Klotz. Die Liebe zwischen ihr und Rudi wurde von den Genossen als Konkurrenz zum revolutionären Kampf wahrgenommen. Dafür wurde sie von den Männern gehasst.

Die Last vor und nach der Lust hatten die Frauen zu tragen: Sie standen unter dem Druck, die Pille zu nehmen, und viele mussten mit den Folgen einer ungewollten Schwangerschaft alleine fertig werden. Die Lebensverläufe der 68erinnen in Kätzels Buch unterscheiden sich drastisch von denen ihrer Mütter. Sie sind die Vorkämpferinnen der "Generation Ally", die es immer noch nicht leicht hat. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.8.2003)