Paris - Wenn die dunklen Leichenwagen in den Straßen halten, dann wechseln selbst abgebrühte Franzosen lieber das Trottoir. Nach der großen Hitzewelle, bei der laut Seniorenstaatssekretär Hubert Falco mehr als 10.000 Menschen umgekommen sind, gelingt es teilweise erst jetzt, die Toten zu bergen. In Orléans etwa wurde Freitag die Leiche eines 72-Jährigen gefunden, die drei Wochen in der Wohnung lag und fast gänzlich verwest war. In Paris schreiben die Bestatter Zuwachsraten von mehr als 200 Prozent. - Ganz Frankreich fragt sich: Wie konnte so etwas geschehen?

Die politische Abrechnung hat bereits begonnen: Montagabend nahm der Chef der Zentralen Gesundheitsbehörde, Lucien Abenhaïm, seinen Hut. Zuvor hatte Gesundheitsminister Jean-François Mattei sich öffentlich über die mangelhafte Informationen der zuständigen amtlichen Stellen beklagt. "Wir haben in dieser außergewöhnlichen Situation nicht die Alarmsignale bekommen, die wir hätten haben müssen." Auch Mattei selbst ist schwer unter Druck geraten, weil er das Ausmaß der Hitzekatastrophe zunächst heruntergespielt hatte. Nach einer Kabinettssitzung Donnerstag beantwortete er Fragen nach dem Termin seines Rücktrittes mit Schweigen.

Auch Premier Jean-Pierre Raffarin wird kritisiert, die linke Opposition fordert eine offizielle Untersuchung (in Italien hat die Regierung bereits eine solche angeordnet). Staatschef Jacques Chirac beeilte sich indes, zu versichern, dass alles Nötige für die Retter bereitgestellt werde. Auch die in der Krise entdeckten strukturellen Defizite würden angegangen, so Chirac, dem Zeitungen vorwerfen, dass er während der ärgsten Hitzewelle im regnerischen Kanada auf Urlaub weilte. (bee, red/DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.8.2003)