Wien - So gut wie alle Bakterien verfügen über eine ausgeklügelte Schutzhülle mit zahlreichen Zusatzfunktionen, die aus einer einzigen Art von Bausteinen besteht. Der Wiener Biotechnologe Uwe Sleytr taufte sie Ende der 1960er Jahre "S-Layer". Was man heute darüber weiß und für welche Anwendungen sie interessant ist, fasste er nun mit Kollegen für die Fachblätter "FEMS Microbiological Reviews" und "Journal of the Royal Society Interface" zusammen.

Die S-Layer Bausteine sind Proteine, die zusätzlich mit Zuckergruppen versehen sein können, erklärte Sleytr, emeritierter Professor am Department für Nanobiotechnologie der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Diese S-Layer Proteine machen etwa zehn Prozente der gesamten Proteinmenge in Bakterien und Archaeen aus, und weil diese wiederum geschätzte zwei Drittel zur Biomasse auf der Erde beisteuern, gehören die S-Layer vermutlich zu den am meisten vorhandenen Bio-Polymeren auf diesem Planeten.

Bis zu 500 solcher Bausteine pro Sekunde werden in schnell wachsenden Bakterienzellen hergestellt und an die Oberfläche gebracht, wo sie sich selbst zu einem regelmäßigen, lückenlosen Gitter anordnen, so Sleytr. Sie dienen den Einzellern als stützende und schützende Hülle, verringern durch ihre schmutzabweisenden Eigenschaften den Widerstand bei der Fortbewegung, lassen wie ein Sieb Moleküle nur bis zu einer bestimmten Größe durch, machen es den Zellen möglich, sich an Oberflächen anzuheften und steigern die krankmachenden Fähigkeiten von Erregern.

Biotechnologisch interessant

Weil der Zusammenbau auch im Reagenzglas funktioniert und man dort genau vorhersehbare Schichten, Röhrchen und Kugeln daraus bilden kann, sind die S-Layer für biotechnologische Anwendungen geeignet, erklärte er. Die Erste davon war ein von Sleytr und seinen Kollegen entwickeltes Ultrafiltrations-Sieb mit Poren von ein paar Nanometern (milliardstel Metern) Durchmesser.

Mittlerweile verwendet man S-Layer etwa bei der Impfstoffentwicklung, als Hülle für Nano-Partikel und um giftige Schwermetalle aus verseuchtem Boden und Wasser zu holen. Sie sind aber auch ein hervorragendes Trägermaterial, so Sleytr. "Es gibt keine andere Technik, mit der man Moleküle mit so genau definierter Position und Ausrichtung immobilisieren kann", sagte er.

Man könne sich einen mit Enzymen, Farbstoffen oder Antikörpern versehenen S-Layer wie ein Schachbrett vorstellen, auf dem jedes Feld von einem Springer besetzt ist, und wo alle diese Figuren in die gleiche Richtung schauen. "Andere Moleküle haben keinen Platz dazwischen, weil kein Feld mehr frei ist", so Sleytr. Deshalb seien S-Layer Membranen und Trägerschichten sehr schmutzabweisend, während die Grundschichten bei anderen Techniken eher wie ein Klebeband wären, wo alles in beliebiger Richtung anhaften kann, und zwar gewollte wie ungewollte Substanzen.

Membranproteine im Forscherfokus

Auch in der Grundlagenforschung könne man die S-Layer gut gebrauchen, erklärte er. An der Boku würde man sie etwa als Träger für biologische (Lipid-)Membranen verwenden. Die Eiweißstoffe an und in diesen Membranen konnte man bisher nur schwer erforschen, weil es nicht so einfach sei, stabile Lipidmembranen herzustellen. Der Forschungsbedarf an solchen Membranproteinen sei allerdings groß: "30 Prozente der Proteine, deren Geninformation auf unserem Erbgut ist, sind Membranproteine und 60 Prozente der Medikamente wirken auf Membranproteine", sagte Sleytr.

Eine weitere Anwendung, an der Sleytr mit seinen Mitarbeitern forscht, sind Fettpartikel, mit denen man Medikamente gegen Krebs und andere Krankheiten in den Körper bringen kann. Auch hier wären S-Layer-Proteine eine geeignete Hülle. Zusätzlich könnte man daran Moleküle befestigen, die wie eine "Adressaufschrift" dafür sorgen, dass der Wirkstoff am richtigen Ziel wie zum Beispiel einer Tumorzelle ankommt, so der Bioingenieur. (APA/red, derStandard.at, 10.05.2014)