Techniker am Atlas-Experiment, einem der riesigen, weit unter der Erde aufgebauten technischen Konstruktionen des Teilchenbeschleunigers LHC.

Foto: Cern

Wien/Genf - Die Ingenieure am Teilchenbeschleuniger LHC beginnen heute, Mittwoch, mit einer recht langwierigen Arbeit: Sie kühlen Schritt für die Schritt die mehr als tausend supraleitenden Magnete im 27 Kilometer langen, kreisrunden Beschleuniger auf eine Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt. Erst danach können die Magnete beim geplanten Neustart des LHC im kommenden Jahr die Teilchen in der Bahn halten. Dann wollen die Physiker die nächsten Experimente an der weltgrößten Maschine beginnen.

Zuletzt wurde das Higgs-Teilchen nachgewiesen. François Englert und Peter Higgs, die den theoretischen Unterbau dazu lieferten, haben im vergangenen Jahr den Physik-Nobelpreis erhalten. Das Higgs ist dafür verantwortlich, dass die Grundbausteine der Materie Masse besitzen.

Nach dieser Pflichtübung will man nun freilich beweisen, dass das Standardmodell der Teilchenphysik nicht der Weisheit letzter Schluss ist: Es gibt viele Phänomene, die darin nicht erklärt sind, zum Beispiel die Gravitation und die Dunkle Materie. Die "Supersymmetrie", eine von Physikern vermutete "Spiegelwelt" zu der uns bekannten Welt von Elementarteilchen, wäre eine Möglichkeit, über offene Fragen in der Theorie zu sprechen. Experimentelle Nachweise könnten am LHC gelingen. Voraussetzung war das zuletzt durchgeführte Upgrade des Beschleunigers, das eine Kollisionsenergie von 13 bis 14 Teraelektronenvolt möglich macht. "Was wirklich möglich sein wird, können wir heute nicht sagen. Das wäre Kaffeesudlesen", sagt Manfred Krammer, stellvertretender Leiter des Hephy (Institut für Hochenergiephysik) an der Akademie der Wissenschaften. Das Institut ist an mehreren Experimenten am LHC beteiligt.

Weitere Pläne

Die weiteren Ergebnisse und Entdeckungen sollten nicht nur zu weiteren Physik-Nobelpreisen, sondern auch zu einer Entscheidung führen, wie es in der Nach-LHC-Ära ab den 2030er-Jahren mit der europäischen Teilchenphysik weitergeht.

Dafür gibt es mehrere Optionen: Am Kernforschungszentrum Cern in Genf wird schon seit gut zehn Jahren überlegt, ob der nächste Schritt vielleicht ein linearer Beschleuniger sein könnte, erzählt Krammer. Ab einer bestimmten Energiestufe seien kreisrunde Beschleuniger nämlich ineffizient. Der Compact Linear Collider (CLIC) hätte eine Länge von 30 bis 50 Kilometern und wäre für Präzisionsmessungen von entdeckten Teilchen vorgesehen. Elektronen kollidieren hier mit Positronen, beides leichte Elementarteilchen.

Ein anderer, in einer europäischen Teilchenphysik-Strategie beschriebener Plan klingt nach einem Mega-LHC, den man sich heute kaum vorstellen kann: Ein neuer kreisrunder Teilchenbeschleuniger mit einer Länge von 80 bis 100 Kilometern könnte bei Genf gebaut werden.

Dabei würde man in zwei Schritten vorgehen: Ein etwas weniger aufwändiger Beschleuniger, der genauere Analysen möglich macht, wäre der erste, der zweite ein "Entdeckerbeschleuniger" wie es derzeit der LHC ist. Mit diesem Beschleuniger, in dem wieder Protonen auf Protonen kollidieren, sollte man 100 Teraelektronenvolt (TeV) erreichen und könnte so zu einer "neuen" Physik vorstoßen. Krammer sagt, diese zweite Beschleunigervariante hätte den Vorteil der hohen Energie, aber den Nachteil, es hier mit komplexen, zusammengesetzten Teilchen zu tun zu haben. "Wir jagen hier zwei Mistkübel mit hoher Energie aufeinander und schauen danach, was in den Kübeln war und wie es da reinkam."

Machbarkeitsstudie bis 2018

Ob dieser Future Circular Collider (FCC) jemals gebaut wird, ist freilich noch ungewiss: Bis 2018 werden die Cern-Wissenschafter Michael Benedikt und Frank Zimmermann eine Machbarkeitsstudie vorlegen. Erst dann wird man auch wissen, ob mit dem FCC wirklich bahnbrechende Erkenntnisse möglich werden, wie viel Geld dieser Bau verschlingen würde und ob ihn sich das Cern und wissenschaftliche Partner aus den USA und aus Asien überhaupt leisten können und wollen. Zum Vergleich: Der LHC, der nur ein Drittel der FCC-Größe hat, kostete allein in der Errichtungsphase 3,9 Milliarden Euro. Krammer: "Mit der heutigen Technologie wäre ein derartiger Beschleuniger nicht möglich, da bräuchten wir zum Beispiel ganz andere Magneten."

China arbeitet an der Machbarkeitsstudie mit - hat aber dem Cern gegenüber bereits verlautet, dass man auch eine eigene Machbarkeitsstudie durchführt. Die Asiaten wollen nämlich ihrerseits einen Beschleuniger bauen, der mit etwa 50 Kilometern Länge etwas kleiner dimensioniert ist.

Zuletzt hat man den theoretischen Physiker Nima Arkani- Hamed von der Universität Princeton für die Position des Direktors am Instituts für Hochenergiephysik in Peking angeworben. Der Wissenschafter, den Medien schon als "neuen Einstein" bejubelten, hielt kürzlich einen Vortrag über Beschleunigerphysik und wurde mit einem bedeutungsvollen Satz in der Neuen Zürcher Zeitung zitiert: "Große Maschinen sind der Lebenssaft der Teilchenphysik. Ohne sie gibt es keine großen Ideen." (Peter Illetschko, DER STANDARD, 7.5.2014)