Krebsforscher Richard Moriggl in seinem Labor in der Wiener Währinger Straße. Im kommenden Jahr übersiedelt er mit seinem Team an die Vetmed-Uni Wien.

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STANDARD: Vor zwei Wochen starb der Schriftsteller Gabriel García Márquez an einem Krebsleiden. Wann werden solche Medienberichte der Vergangenheit angehören?

Moriggl: Solange die Menschheit existiert, werden wir solche Todesmeldungen lesen. Denn Krebs ist eine Alterserscheinung und außerdem extrem komplex, es handelt sich hierbei nicht um eine Krankheit, sondern um hunderte verschiedene. Manche Krebsarten werden wir auch in Zukunft nicht heilen können.

STANDARD: Welche?

Moriggl: Lungenkrebs und Pankreaskarzinom etwa, wobei man hinzufügen muss: Momentan werden große Fortschritte in der sogenannten Immuntherapie gemacht. Damit gibt es sogar bei aggressiven Krebsarten eine Heilungschance. Bei der Immuntherapie geht es darum, eine natürliche Reaktion des Körpers gegen Krebs zu fördern. Krebszellen können im Prinzip jeden Tag entstehen, unter normalen Umständen werden sie vom Immunsystem erkannt und entfernt. Krebs entsteht erst dann, wenn die entarteten Zellen dem Immunsystem entkommen.

STANDARD: Was sind die Hauptursachen von Krebs?

Moriggl: Ursache Nummer eins ist Rauchen. Es kommen immer wieder Leute zu mir und sagen: "Es gibt doch Leute wie Helmut Schmidt." Stimmt, das ändert aber trotzdem nichts an der Tatsache, dass Rauchen mehr als hundert Krebsarten antreibt. Andere Ursachen sind falsche Ernährung, Diabetes und Bewegungsmangel - wer sich bewegt, stärkt das Immunsystem und baut dabei auch noch Stress ab. Wir tun einfach zu wenig dagegen.

STANDARD: Tun Sie eigentlich etwas dagegen?

Moriggl: Ja, das tue ich. Die WHO gibt vor, dass man sich täglich 10.000 Schritte bewegen soll. Das sind neun Kilometer. Daran halte ich mich, ich habe sogar eine App auf meinem Handy, die das kontrolliert. Allerdings bereue ich, dass ich in meiner Jugend, als ich noch aktiv geklettert bin, mit dem Rauchen angefangen habe. Das würde ich heute nicht mehr tun. Bereits fünf Päckchen Zigaretten gravieren eine Signatur ins Lungenepithel ein.

STANDARD: Was heißt das konkret?

Moriggl: Eine genetische Veränderung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Nach 5000 Päckchen sieht es wesentlich schlechter aus, wegen der vielen Mutagene, die im Zigarettenrauch enthalten sind.

STANDARD: Sie haben herausgefunden, dass Stress ein Krebsauslöser sein kann. Wie kam es dazu?

Moriggl: Wir haben eine Maus mit chronischem Stresssyndrom gezüchtet. Durch den dauernden Stress entwickelte sie Krebsarten, die mit dem Stoffwechsel zu tun haben. Stresshormone bauen nämlich Fettspeicher ab - und diese Energiequelle zapfen manche Krebsarten an.

STANDARD: Inwieweit lassen sich Erkenntnisse von der Maus überhaupt auf den Menschen übertragen?

Moriggl: Wie weit die Übertragung geht, kann man in den USA sehen. Dort wird in Krankenhäusern das Erbgut von Tumoren sequenziert, aufgrund dieser Daten testen Mediziner Therapien zunächst an Mäusen, bevor sie beim Patienten zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich allerdings um "humanisierte" Mäuse - also solche, denen Teile des menschlichen Immunsystems genetisch verpflanzt wurden.

STANDARD: An welchen Kliniken ist das der Fall?

Moriggl: Zum Beispiel am MD Anderson Cancer Center in Texas oder am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York. Dort ist die personalisierte Therapie kein Zukunftsthema mehr. Das ist natürlich extrem teuer: Die Sequenzierung des Krebsgenoms kostet tausend Euro, die bioinformatische Analyse hunderttausend - mit Mausmodell plus Therapie ist man dann schnell bei einer Million.

STANDARD: Zu Ihrer Laufbahn: Sie sind Leiter des neu gegründeten Ludwig-Boltzmann-Instituts für Krebsforschung und außerdem an der Medizinischen und an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien tätig. Haben Sie tatsächlich drei Schreibtische?

Moriggl: Mein Hauptschreibtisch steht derzeit hier in der Währinger Straße. Ab 2015 werden es zwei sein: Dann wird mein Labor an die Vetmed übersiedeln. An der Med-Uni habe ich verschiedene Kooperationsspartner - verschiedene Standorte machen die Arbeit natürlich nicht einfacher, aber das sollte kein Problem sein. Wir sind ohnehin viel weniger mobil, als die Amerikaner oder die Asiaten es sind.

STANDARD: Wie beurteilen Sie denn den Forschungsstandort Österreich?

Moriggl: Der Standort ist sicher interessant, und Wien ist attraktiver als so manche amerikanische Großstadt. Im Vergleich mit der ähnlich großen Schweiz ist Österreichs Wissenschaft allerdings unterdotiert. Der Schweizerische Nationalfonds hat ein dreimal so großes Budget wie der Wissenschaftsfonds FWF. Ein Manko ist sicher auch, dass Jungforscher auf dem Postdoc-Level hierzulande viel zu wenige Möglichkeiten haben, Gruppenleiterstellen zu bekommen. Die Universitäten rekrutieren immer noch zu sehr aus den eigenen Reihen.

STANDARD: Sie haben Biotechnologie an einer Fachhochschule studiert, bevor Sie sich der Wissenschaft zugewandt haben. Was hat Sie dazu bewogen?

Moriggl: Ich komme aus Deutschland, dort kann man auch Karriere machen, wenn man erst spät aufwacht. Ich komme aus keinem Akademikerhaushalt, war nie auf dem Gymnasium und für Genetik und Molekularbiologie hatte ich zunächst kein Verständnis - aber ich war von Beginn an davon fasziniert. Man sollte schon das machen, wofür man das größte Interesse hat. Das war letztlich der Grund, warum ich mich für die Wissenschaft entschieden habe. Aber ich hatte auch sehr schwere Zeiten in der Forschung, Phasen, in denen wirklich nichts weiterging. Man braucht neben Fleiß auch Glück, um Karriere zu machen.

STANDARD: Der österreichische Wissenschaftsrat hat sich kürzlich im April gegen das Promotionsrecht von Fachhochschulen ausgesprochen. Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Moriggl: Ich halte es für richtig, das Promotionsrecht nicht zu verschleudern. Das stärkt die Universitäten und ihre Forschungsarbeit. Fachhochschulen sollen Leute für die Industrie ausbilden und nicht für die Wissenschaft. Insofern ist mein Weg ein Sonderfall. Ich musste auch Prüfungen nachholen, selbst im dritten Jahr meiner Doktorarbeit. Damals hatte ich bereits publiziert und wurde dennoch auf Herz und Nieren geprüft. Das war keine gemähte Wiese, wie wir in Bayern sagen. Und das ist auch gut so, Fachwissen muss abgeprüft werden. (Robert Czepel, DER STANDARD, 7.5.2014)