"Ich werde versuchen, die Sozialistische Jugend Österreich wieder zu vereinen, das wird sicher auch gelingen", sagt Julia Herr. 

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Knapp, aber doch - nämlich mit 54 Prozent - wurde Julia Herr am Wochenende zur Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend Österreich gewählt. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt sie, weshalb die Medien am Verbandstag nicht teilnehmen durften, wieso sie für einige Jahre sogar Schwarz-Blau in Kauf nehmen würde und was Bundeskanzler Werner Faymann von der SJ lernen kann.

derStandard.at: Sie wurden mit nur 54 Prozent zur Vorsitzenden der SJ gewählt. Das ist sich doch recht knapp ausgegangen.

Herr: In Anbetracht der Situation einer Doppelkandidatur war es sowohl für mich als auch für Fiona Kaiser ja gar nicht möglich, auf eine breitere Basis zurückzugreifen, aber ich bin jetzt gewählt und auch motiviert, die Forderungen, die wir in den letzten Monaten diskutiert haben, umzusetzen.

derStandard.at: Werden Sie langfristig alle Landesorganisationen hinter sich haben? Die Oberösterreicher und die Niederösterreicher hätten beispielsweise lieber Fiona Kaiser als Vorsitzende gehabt.

Herr: Ich werde versuchen, die Sozialistische Jugend Österreich wieder zu vereinen, das wird sicher auch gelingen. Ich werde auf die Landesorganisationen einen Schritt zumachen. Die SJ ist dann stark, wenn sie vereint ist. Inhaltlich sind wir ja geeint, deshalb werde ich meine ganze Kraft dafür aufwenden, Vorsitzende aller Landesorganisationen und aller SJ-Mitglieder zu sein.

derStandard.at: Worin sind Sie sich nicht einig?

Herr: Es wurde Organisatorisches diskutiert, die SJ hat viel Verbesserungsspielraum. Wir müssen die SJ demokratischer gestalten, damit die Stimmen aller Mitglieder besser gehört werden. Außerdem müssen wir aktionistischer und radikaler werden, da heißt, wir müssen Dinge direkt ansprechen.

derStandard.at: Warum war der Verbandstag nicht medienöffentlich?

Herr: Die Anwesenheit der Medien beeinflusst das Diskussionsverhalten. Wir haben klar gesagt, dass wir die Entscheidungen möglichst offen intern diskutieren wollen. Es war transparent für alle SJ-Mitglieder, es konnte jeder vorbeikommen und mitdiskutieren. Ziel war, dass wir aus dieser Veranstaltung kein Medienspektakel machen.

derStandard.at: Raten Sie dem SPÖ-Vorsitzenden Werner Faymann, dass er den nächsten Bundesparteitag ebenfalls nicht medienöffentlich abhält?

Herr: Ich würde ihm raten, dass man bei solchen Veranstaltungen auf inhaltliche Diskussionen setzt. Faymann kann von der SJ diesbezüglich durchaus etwas lernen. Es reicht nicht, einfach nur dazusitzen und die Hand zu heben. Der Basis muss Raum und Zeit für Diskussionen gegeben werden.

derStandard.at: Die Medien hätten die SJ dabei gestört, die Diskussion offen zu führen?

Herr: Man diskutiert anders, wenn man weiß, dass alles, was man sagt, in die Medien kommen kann. Gestört hätten uns die Medien wahrscheinlich nicht.

derStandard.at: Konterkarieren Sie mit dem Medienausschluss nicht die Forderung, dass sich die SPÖ einer breiteren Öffentlichkeit öffnen sollte?

Herr: Die SPÖ muss sich öffnen, aber auf struktureller Ebene. Wir brauchen mehr Mitglieder, die Hemmschwelle, einer Partei beizutreten, muss verringert werden. Wir müssen uns ehrlicher dem Feedback der Leute stellen und wir müssen einen Linksruck der Partei erzielen. Aber das hat nichts damit zu tun, ob Medien bei einem Parteitag zugelassen sind.

derStandard.at: Es gab einen Antrag zum Verbandstag der SJ – darin wird die Veröffentlichung der SJ-Statuten gefordert. Warum wird da so ein Geheimnis darum gemacht?

Herr: Ich sehe kein Problem damit, unsere Statuten zu veröffentlichen. Wir haben beschlossen, eine Statutenreformkommission einzusetzen, die Statuten zu überarbeiten und diese auch zuveröffentlichen.

derStandard.at: Beim Verbandstag wurde nicht über alle Anträge abgestimmt. Was war das Problem?

Herr: Wir haben sehr lange interne Diskussionen geführt. Aus zeitlichen Gründen haben wir es nicht geschafft, alle Anträge zu beschließen. Dafür muss jetzt einfach Zeit und Raum geschaffen werden, damit diese nicht unter dem Tisch fallen.

derStandard.at: Sie wollen die SJ "proletarischer" machen?

Herr: Wir als SJ müssen uns ebenfalls öffnen. Für Lehrlinge, aber auch für Migranten und Migrantinnen. Wir wollen gezielt auf diese Gruppe zugehen. Wir sehen uns in der Tradition einer ArbeiterInnen-Bewegung und wollen vermehrt die Probleme, die Lehrlinge haben, thematisieren.

derStandard.at: In Ihrem Programm steht, man darf Lehrlinge nicht als "eigene Spezies" betrachten. Was kann man darunter verstehen?

Herr: Man darf nicht davon ausgehen, dass man Lehrlinge nur mit Lehrlingsthemen oder in der Disco überzeugen kann. Auf den H.-C.-Strache-Zug aufzuspringen und mit möglichst vielen Leuten in der Disco zu saufen ist nicht unser Weg. Lehrlinge sind genauso Menschen, die man mit politischen Argumenten überzeugt.

derStandard.at: Die SJ soll unter Ihnen auch marxistischer werden?

Herr: Die SJ muss die Systemfrage wieder stellen. Wir haben uns mit dem Kapitalismus nicht abgefunden und werden das auch breit thematisieren. Es kann nicht sein, dass man Banken rettet und Menschen draufzahlen.

derStandard.at: Als SJ-Vorsitzende werde Sie auch im SPÖ-Bundesparteivorstand vertreten sein. Was ist Ihre dringendste Forderung an die Mutterpartei?

Herr: Unsere dringendste Forderung ist: Raus aus der großen Koalition. Die SPÖ muss glaubwürdig sein und die Forderungen, die sie vor der Wahl aufstellt, auch nach der Wahl umsetzen. Leistbares Wohnen, Bildung und Arbeit für alle – die Themen des letzten Nationalratswahlkampfes – dürfen jetzt nicht unter den Tisch fallen. In dieser Koalition werden diese Forderungen wohl nicht mehr umgesetzt werden.

derStandard.at: Wollen Sie für die Aufkündigung der große Koalition Verbündete suchen?

Herr: Ja, wir werden in allen Bezirksorganisationen, in denen die SJ vertreten ist, Stimmung für das Aus der großen Koalition machen. Wir werden auf die Gewerkschaften zugehen, und es gilt, linke Vorkämpfer und Vorkämpferinnen in der SPÖ zu vernetzten.

derStandard.at: Angenommen es gäbe Neuwahlen, denken Sie, die SPÖ würde plötzlich großen Wählerzuspruch bekommen?

Herr: Mit der derzeitigen Politik der SPÖ werden keine großen Wahlsiege winken. Genau deshalb muss man damit beginnen - besser heute als morgen -, wieder glaubwürdig zu sein. Der Weg aus der großen Koalition ist die einzige Chance, wie man Strache als Bundeskanzler verhindern kann.

derStandard.at: Die Chancen für Schwarz-Blau stünden derzeit aber nicht so schlecht.

Herr: Eine Schwarz-blaue Regierung ist das größtmögliche anzunehmende Übel und wird für eine SJ nicht leicht sein. Aber das droht uns sowieso, wenn die SPÖ jetzt nicht munter wird.

derStandard.at: Faymann wird voraussichtlich im Herbst wieder zum Vorsitzenden gewählt. Denken Sie, er wird mehr Zuspruch bekommen als Sie, also über 54 Prozent?

Herr: Es kann schon sein, dass es über 54 Prozent werden, aber es wird sicher kein haushoher Sieg sein, wenn man weiterhin Banken rettet und bei der Bildung spart. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 5.5.2014)