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Phagen befallen gezielt Bakterien und killen sie - das macht sie zu einer Zukunftshoffnung in der Medizin.

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Wenn Mikrobiologen auf Phagenjagd gehen, haben sie es nicht allzu schwer. Phagen sind "Bakterienfresser" und kommen überall dort vor, wo Bakterien leben: in Regenpfützen, Gartenerde, Körperflüssigkeiten oder auch in toten Zebras.

Dort suchten Forscher unlängst nach einem ganz bestimmten Phagen. Im Ethosha-Nationalpark in Namibia sterben manche Zebras an Milzbrand, einer Infektion, die Bacillus anthracis auslöst. Wo Anthraxbakterien sind, kann der dazugehörige Virus nicht weit sein, dachten die Forscher und behielten recht. Sie tauften ihn Tsamsa, nach den Staubteufeln in der Etoshapfanne. In Zukunft soll er helfen, Milzbrand zu bekämpfen.

Multiresistente Keime

Weltweit setzen Forscher neuerdings auf Phagen, um Bakterien zu besiegen. Denn die Wundermedikamente des 20. Jahrhunderts, Antibiotika, verlieren an Wirkung. In Krankenhäusern mehren sich sogenannte multiresistente Keime, Bakterien, die gegen mehrere Antibiotikasorten unempfindlich sind.

Jährlich infizieren sich mehr als 400.000 Europäer mit solchen Keimen, rund 25.000 sterben an den unheilbaren Infektionen. Amerika meldet ähnliche Zahlen. Die WHO warnt denn auch, dass Infektionskrankheiten auf dem Vormarsch sind, manche Bakterienarten gar auf überhaupt keine Antibiotika mehr ansprechen.

"Der Druck, alternative Behandlungsmöglichkeiten zu finden, ist groß", sagt Mikrobiologin Christine Rohde vom Leibniz-Institut DSMZ - Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig. Die DSMZ hat rund 200 Phagen isoliert und charakterisiert und will die Phagensammlung weiter ausbauen. "Phagen sind ideal geeignet, weil sie gezielt nur Bakterien befallen und töten. Für Menschen und Tiere sind sie harmlos."

Neue Alternative

Bakteriophagen wurden bereits 1917 entdeckt. Durch den Siegeszug der Antibiotika, der Ende der 1930er-Jahre begann, gerieten sie allerdings in Vergessenheit. Zumindest in der westlichen Welt. In Russland, Polen und Georgien wurde weitergeforscht, und bis heute werden dort viele Infektionen mit Phagencocktails geheilt.

Die sogenannte Phagentherapie hat Vorteile: Da Phagen nur Bakterien angreifen, hat eine Therapie keine Nebenwirkungen für den Menschen. Die Viren, etwa 1000-mal kleiner als Bakterien, können sich ausschließlich in Bakterienzellen vermehren.

Dazu schleusen sie ihre Erbinformation ins Innere des Bakteriums und vermehren sich dort so stark, dass die Bakterienzelle schließlich platzt. Sind alle Bakterien vernichtet, sind die Phagen "arbeitslos" und werden ausgeschieden. Ein weiterer Vorteil: Phagen greifen nur Bakterien einer bestimmten Art an, Tsamsa etwa befällt nur Milzbrandbakterien. Das heißt, anders als bei einer Therapie mit Antibiotika werden die guten Bakterien, etwa die Darmflora, verschont.

Bürokratische Hürden

Bis die Phagentherapie in Europa Einzug hält, müssen jedoch bürokratische Hürden überwunden werden. Phagen sind weder klassische Medikamente, noch sind sie Impfstoffe. Die fehlende Klassifikation erschwert die Anwendung. Denn selbst wenn ein Arzt - das Einverständnis des Patienten vorausgesetzt - Phagen nutzen möchte, scheitert das in der Praxis an zwei Dingen: Zum einen gibt es die entsprechenden Phagen nicht einfach zu kaufen, zum anderen können Ärzte die Phagentherapie nicht über die vorhandenen Abrechnungsmodi abrechnen, da sie in den Regularien nicht auftaucht.

Die Initiative P.H.A.G.E., der auch Rohde angehört, setzt sich für eine Regelung auf EU-Ebene ein. Manche Staaten haben die Zeichen der Zeit erkannt: Am Projekt PhagoBurn, das die EU mit 3,8 Millionen Euro fördert, sind Institute aus Belgien, Frankreich und der Schweiz beteiligt.

"Wir werden die entzündeten Wunden von Verbrennungsopfern mit Phagen behandeln", sagt der Mikrobiologe Grégory Resch von der Universität Lausanne, "PhagoBurn ist eine klinische Studie, die die europäischen Standards erfüllt. Solche Studien sind unbedingt notwendig, um die Wirksamkeit und die Sicherheit der Phagentherapie zu beurteilen und sie in Europa zu etablieren."

Nicht risikofrei

Risikofrei ist auch die Phagentherapie nicht. Manche Phagen können bei ihrer Vermehrung bakterielle Gene in das Erbgut ihrer Nachkommen einbauen. Etwa Resistenzgene gegen Antibiotika. Das Risiko lässt sich allerdings ausschließen, indem das Phagenerbgut entschlüsselt wird. Das wiederum ist erst seit einigen Jahren routinemäßig möglich.

"Dank der Fortschritte der Molekularbiologie ist die Arbeit mit Phagen kein Voodoo mehr. Heute wissen wir, was wir tun", sagt Martin Loessner von der ETH Zürich. Er und seine Kollegen waren die Ersten, die erkannten, dass Phagen sich auch in der Lebensmittelindustrie einsetzen lassen.

Statt Menschen mit bakteriellen Lebensmittelvergiftungen zu behandeln, werden unerwünschte Bakterien vor dem Verzehr vernichtet. "Wir betreiben Vorsorge. Wir eliminieren gezielt Salmonellen und Listerien", so Loessner. In Irland und Schottland wird Räucherlachs mit einer Phagenlösung besprüht, in den USA und auch hierzulande ist die Käseindustrie interessiert. Die Zeit scheint reif für Bakterienfresser. (Juliette Ilmer, DER STANDARD, 7.5.2014)