Dass an Wochenenden auf der ganzen Welt gelaufen wird, ist nichts Revolutionäres. Aber dass an einem Tag auf der ganzen Welt - genauer: bei 32 zeitgleich ausgetragenen Rennen - Läuferinnen und Läufer an ein und dem gleichen Lauf teilnehmen, schon. Genau das war es, was den "Wings for Life World Run" so besonders machte. Und noch etwas war anders als sonst: Man lief nicht auf eine Ziellinie zu - sondern vor ihr davon.

Darf ich Sie - bevor es losgeht - etwas bitten? Bitte ersparen Sie sich, mir und meinen Kollegen in der Foren-Moderations-Kammer  das sensationell-aufdeckerische Posting über die nun folgende (mutmaßliche) Interessenskollision: Dass der "Wings for Life"-Lauf nicht nur eine Charityveranstaltung zugunsten der Rückenmarksforschung ist, sondern auch ein Event aus dem Hause Red Bull, ist nämlich ebenso wenig ein Geheimnis, ...

Foto: Thomas Rottenberg

...wie der Umstand, dass ich für ServusTV arbeite. Ich moderiere dort seit über vier Jahren die Literatursendung "LiteraTOUR". ServusTV gehört zu Red Bull Media - und Red Bull Media ist ebenso ein Teil von Dietrich Mateschitz' Imperium, wie die "Wings for Life Stiftung". Punkt. Ich habe, seit ich für ServusTV arbeite, kein einziges Mal im STANDARD (Print wie Online) über Red Bull-Events, -Produkte oder -sonstwas geschrieben. Und werde es auch in Zukunft nicht tun.

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Dass ich mit diesem Prinzip hier & heute dennoch breche und über eine Veranstaltung meines Arbeitgebers schreibe, hat einen Grund: Der "World Run" war zum einen eine Weltpremiere. Und zum anderen fände ich den karitativen Hintergrund - das Spendensammeln für die Rückenmarksforschung nämlich - genauso unterstützenswert, wenn die Veranstaltung von irgendeiner anderen Organisation oder Firma initiiert, organisiert und finanziert worden wäre.

Erst recht, wenn da nicht ein ominöser "Reinerlös" (bei dem halt vorher nie wirklich genau erklärt wird, was da alles an Gagen und sonstigen Kosten abgeführt wird), sondern sämtliche Startgelder weitergegeben werden.

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Das erste Mal hörte ich von meinem Laufcoach Michael Buchleitner von dem Projekt. Wir waren gerade in Palma - und hatten dort den TUI-Marathon absolviert. Auf der ganzen Welt, erklärte Buchleitner da, würden beim "World Run" an einem Tag zur gleichen Zeit Läufer losstarten - und zwar "ins Blaue". Denn im Gegensatz zu den gewohnten Laufveranstaltungen, würde man da vor dem Ziel davonlaufen: Etwa eine halbe Stunde nach den Läufern würden so genannte "Catcher Cars" dem Pulk zu folgen beginnen. Zuerst langsam, dann stetig schneller. Wer vom "Catcher Car" überholt würde, wäre aus dem Rennen.

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Das Tempo der Autos, erklärte Buchleitner, würde so angelegt, dass Spitzenläufer bis zum Eingeholtwerden weit mehr als einen Marathon absolvieren könnten. Und da die "Catcher Cars" auf der ganzen Welt zur gleichen Zeit mit dem exakt gleichen Tempo unterwegs sein würden, wären die Leistungen weltweit vergleichbar. Zumindest beinahe.

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Das gelte natürlich nicht nur für die Elite, sondern auch für das große Feld der Normalo- und Hobbyläuferinnen und -läufer. Neben der Logistik und der Messtechnik gab es da aber auch noch eine weitere große Herausforderung: Es galt, weltweit Strecken zu finden, auf denen Spitzenläufer ungehindert eventuell sogar doppelte Marathondistanzen absolvieren könnten - die aber darüber hinaus eben halbwegs miteinander vergleichbar sein sollten.

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In Österreich wurde man in Niederösterreich fündig: Start war in St. Pölten - und dann ging es in einer weiten Schleife tief ins Donautal hinein. Um die Logistik - etwa das Zurückshutteln der überholten Läuferinnen und Läufer - nicht noch komplexer zu machen, als das ganze Unternehmen ohnehin schon war, wurde die Teilnehmerzahl auf rund 5.500 Startplätze beschränkt. Die waren aber recht rasch weg.

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Ich selbst lief - aus tausendundeinem Grund - nicht mit, zahlte aber die volle Startgebühr. So wie all jene, die am Sonntag in St. Pölten oder an einem der 32 anderen "World Run"-Orte um Punkt zwölf Uhr (St. Pöltener Zeit) ins Rennen gingen.

Und im Gegensatz zu manchen anderen Charityevents, bei denen das Motiv irgendwann hinter der Floskel "Laufen für die gute Sache"  verschwindet, war das Motto hier omnipräsent: Laufen für die, die es nicht können. Also um Geld für Forschungsarbeit zu sammeln, die dazu führen soll, Querschnittlähmungen heilbar zu machen.

Christian Clerici war nur einer von etlichen Prominenten im Feld.

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Und es waren bei weitem nicht nur die "üblichen" Athleten aus dem Red-Bull-Skisprung-Umfeld, die da mehr oder weniger weit kamen: Neben Michaela Dorfmeister, Ex-Miss Austria Patricia Kaiser und Marcel Hirscher stolperte ich auch über Ö3-Extremsportler Tom Walek. Beziehungsweise: Er wäre beinahe über mich gestolpert.

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Die wirklichen Stars waren an diesem Tag aber andere: Alle jene Läuferinnen und Läufer, die sich auf das Experiment eingelassen hatten, einmal ein ganz anderes Rennen als sonst zu laufen und bei beinahe idealem Laufwerter nicht bloß Spaß hatten,...

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...sondern die Devise "die selbst nicht laufen können" auch noch ein bisserl weiter auslegten: Bei vielen "normalen" Läufen sind Kinderwägen im regulären Feld nämlich alles andere als gern gesehen. Respektive: Durch das strenge Reglement verboten. In St. Pölten war das aber kein Problem. Schlicht und einfach weil niemand eines daraus machen wollte.

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Auch beinahe echte Superhelden waren mit Feuereifer bei der Sache. Obwohl sich so ein zünftiges Heldengewand beim Laufen vermutlich recht rasch in eine Mobilsauna verwandeln dürfte. Doch der Rote Blitz hielt wacker - und voll bekleidet - durch bis er vom Verfolgerwagen ein- und überholt wurde.

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Konsequenterweise muss ich jetzt - leider - auch diesem Gesellen anerkennend auf die schweißnassen Schultern klopfen: Wenn es ok ist, sich beim Laufen als Superheld zu verkleiden, muss es auch erlaubt sein, sich im Gewand einer anderen Sagen- und Legendenfigur ins Rennen zu schmeissen: Als Kaiser aus dem Märchen "des Kaisers neue Kleider". Beim nächsten Mal darf es dann aber gerne eine Ritterrüstung sein. Oder meinetwegen ein Kettenhemd.

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Die "Catcher Cars" waren eine halbe Stunde nach dem Startschuss losgefahren. Zunächst mit 15 km/h. Dann wurden sie sukzessive schneller. Und auch wenn es um gar nichts ging: Es war faszinierend zuzusehen, wie Läuferinnen und Läufer beim Eingeholtwerden oft noch letzte, allerletzte und allerallerletzte Energiereserven mobilisierten, um in verzweifelten Schluss-Sprints noch ein paar Meter mehr mit zu nehmen...

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...und sich dann trotzdem freuten, wenn es vorbei war.

Insgesamt, verkündeten die Platzsprecher, nahmen am ersten World Run weltweit 35.397 Läuferinnen und Läufer teil. Am weitesten kam der Äthiopier Lemawork Ketama. Er lief in Niederösterreich innerhalb von knapp fünf Stunden 78,57 Kilometer  weit - das war 90 Meter weiter als Remigio Huaman Quispe in Peru. Beste Dame wurde Elise Selvikvåg Molvik aus Norwegen, die in Stavanger 54,79 Kilometer zurück legte.

Tolle Leistungen, gar eine Frage. Nur: Darum war es eigentlich gar nicht gegangen.

www.wingsforlife.com

(Thomas Rottenberg, derStandard.at, 6.5.2014)

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