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Husby vor einem Jahr: Unter der sozialen Schieflage haben auch heute vor allem Kinder und Jugendliche zu leiden

Foto: EPA/FREDRIK SANDBERG / SCANPIX SWEDEN OUT

"Es geht um die Zukunft unserer Kinder", sagt Abdullahi Yusuf. Als einer der "Nachtwanderer" in Husby sucht er an Wochenenden regelmäßig das Gespräch mit Jugendlichen. So wie er sind viele Husbyer seit langem ideell aktiv. Jetzt haben sie sich ein neues Gremium geschaffen: den Stadtteilrat für Nordjärva - das Gebiet, in dem Husby liegt. Der im Februar gegründete Rat will Bürgerinteressen mit mehr Gewicht vertreten, wenn es um Fragen wie Jobs, Wohnungen und Schule geht.

Die Zeit drängt. Ein Blick in die Stockholmer Statistik weist Husby, dessen 12.000 Einwohner zu 85 Prozent Wurzeln im Ausland haben, als betrüblichen Beleg für die Segregation in der Hauptstadt aus. Die Erwerbsfrequenz in der Gruppe der 20- bis 64-Jährigen lag Ende 2011 bei 55,5 Prozent - im Vergleich zu knapp 78 Prozent in Stockholm insgesamt. Mehr als jeder dritte 20- bis 25-Jährige hat weder Ausbildungsplatz noch Job.

Politiker werden hellhörig

"Nach den Krawallen sind die Politiker hellhöriger für unsere Vorschläge geworden", sagt Inga Harnesk, aktiv im neuen Stadtteilrat. Der Dialog trägt erste Früchte. So wird aus der seit Jahren leerstehende Dalhags-Schule, die ursprünglich breiteren Straßen weichen sollte, nun ein Jugendklub, der schon einige junge Leute aus Husby angestellt hat.

Freilich ein Tropfen auf den heißen Stein in Husby, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft Schwedens "Silicon Valley", Kista, mit zehntausenden Arbeitsplätzen residiert. Aber in Husby bleibt man unter sich: "Das Einzige, was Kinder und Eltern hier von Kista kennen, ist das Shoppingcenter ", sagt Hagi Farah von der "Elternallianz für Järva". Vor einem Jahr gehörte er zu denen, die nachts zu den Jugendlichen auf die Straße gingen und Klartext darüber redeten, dass Frust kein Freibrief für Gewalt sein kann.

Die Lage bleibt explosiv. Mehrfach haben Jugendliche in jüngster Zeit bettelnde Roma im Shoppingcenter mit Steinen und Flaschen angegriffen. Die Aufklärung verläuft im Sande. Die Polizei müsse stärker schon auf Zwölf- und 13-Jährige achten, meint Erik Hasselrot, Polizist im Wohngebiet. Angesichts knapper Ressourcen hofft er auf die Hilfe der 50 Kollegen, die seit April im benachbarten Rinkeby und Tensta zusätzlich Dienst tun. "Wenn wir mit nur einem Einsatzwagen unterwegs sind und mit Steinen beworfen werden - und das passiert oft -, bleibt uns nur abzuhauen."

Kein Abschluss, kein Job

Elternvertreter Farah hält unterdessen fest an der Vision vom Internet-Eldorado Kista, das Mitarbeiter aus Husby statt aus Indien holt. Zurück in die Realität stößt ihn die Statistik über den Anteil der Neuntklässler ohne Schulabschluss: Nur 44 Prozent haben 2013 in der Husbygård-Schule in allen Fächern das Klassenziel erreicht. Keine andere Zahl bringt laut Farah Husbys Dilemma so auf den Punkt: kein Abschluss - kein Job - keine Zukunft.

Vielen Eltern mangle es an Sprachkenntnissen und am Vermögen, sich für den Schulerfolg der Kinder zu engagieren, sagt er. Dass Schwedens Schulsystem solch ungünstige Startbedingungen nicht auszugleichen vermag, hat die jüngste Pisa-Studie belegt. Finanzspritzen helfen da wenig: Neben dem Schulgeld von knapp 7000 Euro pro Stockholmer Neuntklässler erhielt jeder Husbygård-Schüler 2013 zusätzlich 3500 Euro. In der Äppelvik-Schule im begüterten Bromma, wo es nur 180 Euro extra gab, schafften 96 Prozent den Abschluss, im Gegensatz zu Husby mit seinen 44 Prozent. Aber Farah gibt nicht auf. Als die Elternallianz von 2004 bis 2006 unter Schülern und Eltern mithilfe der Stadt eine Großaktion zur Hausaufgabenhilfe organisierte, stieg in der Rinkeby-Schule der Anteil erfolgreicher Schulabschlüsse von 59 auf 73 Prozent, betont er.

Nachhilfe und die Unterstützung von Eltern sind derzeit Hauptarbeitsfelder freiwilliger Kräfte. Um Fragen wie Finanzhilfen der Stadt für diese Arbeit und kombinierte Job- und Ausbildungsplätze für junge Erwachsene ohne Schulabschluss wird es am 24. Mai gehen, wenn der neue Stadtteilrat zu einem "Tag für Husby und Järva" einlädt. Neben Politikerforen steht dann Kultur diverser Art auf dem Programm - nicht zuletzt "made in Husby". Noch seien Husbys "gute Kräfte" füreinander zu wenig sichtbar, meint Inga Harnesk. "Das muss anders werden." (Anne Rentzsch aus Stockholm, DER STANDARD, 5.5.2014)