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Kriegsende: Ein Wahnsinniger (Tany Gabriel, Mi.) wird aus dem Verkehr gezogen. Offiziere starren ins Leere (Rainer Frieb, li., Alexander Lhotzky, re.). 

Foto: APA / Hans Klaus Techt

Wien - Die Epauletten, jene Fransenpölsterchen, die einen Mann in Uniform erst zu einer stattlichen Erscheinung machen, hängen den Offizieren auf der Bühne des Volkstheaters als lächerliches Lametta von den Schultern. Und wenn diese Kriegsfunktionäre im Laufen begriffen sind - sie flüchten gelegentlich vor der unmittelbaren Zukunft über eine Kante in den Hintergrund -, flattern die Glitzerfäden wie der letzte Tand vom Faschingsfest. Einer nimmt sie einmal ab und fuchtelt damit, als wäre er ein Cheerleader (Kostüme: Tanja Liebermann).

So sehen die sprichwörtlichen Zuckungen des Krieges aus, wie Thomas Schulte-Michels sie aus Karl Kraus' Letzten Tagen der Menschheit abgeleitet und ins Schauspiel übersetzt hat. Der für handliche Abende bekannte Regisseur siedelt die unzähligen Schauplätze des voluminösen Erste-Weltkrieg-Dramas in einer Irrenanstalt an. Dies mag keine rasend originelle Entscheidung sein, doch sie verhilft einem als unspielbar geltenden Stück zu einem bemerkenswerten Theaterabend.

Karl Kraus selbst bezeichnete Die letzten Tage der Menschheit als "Marstheater". Schulte-Michels gibt dem Gedanken nach und entledigt sich des Lokalkolorits (Wienerisch kommt dennoch vor). Er legt die Folie des Irreseins über die aus Zeitdokumenten destillierten Szenen und bietet dafür die "Heilanstalt Volkstheaterpavillon" auf: ein fabelhaftes Männerensemble, das sich in weißer Patientenkluft und übel geschminkt zum Kriegsspiel aufschwingt. Die Drehbühne "schwemmt" sie immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen an die Rampe.

Mit Inbrunst trällern sie die Kaiserhymne, bevor es losgeht. Jeder hier ist ein ganz eigener tragischer Kasper: als Lehrer (Günter Franzmeier), der die Schüler den Patriotismus lehrt, als Kriegsreporterin Schalek (Marcello de Nardo), die vom Eierlikör an der Isonzofront schwärmt, oder als jener Ottokar Kernstock, den Karl Kraus für seine propagandistische Lyrik in der Fackel heftig kritisierte: Erwin Ebenbauer mit Wackelgamsbart und priesterlichem Gemüt. Sie alle machen ihre kleinen Kriegsgeschäfte und haben - stets fernab der Front - ihre dummen Freuden an den veränderten, aufregenden, großmannssüchtigen Verhältnissen.

"Winter in den Karpaten"

Das Ensemble (weiters: Günther Wiederschwinger, Ronald Kuste, Alexander Lhotzky, Haymon Maria Buttinger, Roman Schmelzer und Patrick Lammer als Pianist) bohrt sich in schnellen, hochkonzentrierten Szenen in diese blinde Kriegsmanie hinein. Es genügt, eine Handvoll weißer Papierfuzel in die Höh' zu schmeißen für die Szene "Winter in den Karpaten". Es entsteht also in raschen Zügen ein Panorama des Krieges aus sicherer Distanz; Frontszenen gibt es schon bei Kraus kaum, er lenkt das Augenmerk nicht auf die Gräuel, sondern auf die Absurdität der dumpfen Kriegslust, die Niedertracht der Möchtegernheroen samt den fatalen Folgen.

Man kann im Fall dieser radikal eigenständigen Volkstheater-Fassung kaum von Streichungen sprechen, vielmehr hat Schulte-Michels in den über 200 Szenen gustiert und davon schlussendlich 49 neu montiert. Das ist legitim, der Bogen des Dramas bleibt nachvollziehbar, wenn auch selbstverständlich großflächig ausgedünnt.

Entscheidend für die Tragfähigkeit des Abends ist die Befreiung vom Mief der Geschichte bzw. die von Schule-Michels gewählte Schablone des Wahnsinns, durch die sich das Geschehen abzeichnet. Es wird nonstop überformt, ohne in die Klischeefalle zu tappen. Das ist keine geringe Leistung. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 3.5.2014)