Foto: Lukas Friesenbichler, Werbemotiv fotografiert von Karl Lagerfeld

Aaaaah!!! Jacqueline (Mitte und rechts) hätte ihr die Augen auskratzen können! Diese falsche Kuh. Diese Hexe. Es war ein Alptraum, der absolute Albtraum. Jacquelines Herz war ein Feuerball aus Hass und Wut. Dass Jessica zu den hinterfotzigsten Kreaturen auf diesem Planeten gehörte, war ihr schon seit einiger Zeit klar gewesen. Aber mit diesem Überraschungsangriff hatte sie echt nicht gerechnet.

Die zwei letzten Ferienwochen hatte Jackie Tag und Nacht an ihrem neuen Look für das Maturajahr herumgefeilt. Die Mutter von Sandrine, einer Facebook-Freundin aus Paris, arbeitete in der Marketing-Abteilung von Chanel, und Sandrine hatte ihr ein paar Tipps gegeben, was denn im kommenden Herbst so angesagt sein würde: der alte Rihanna-Haarschnitt, mit einem asymmetrischen Springbrunnen-Element aufgepeppt, unifarbene Pullis und Kleider mit Wasserfarbenkastenprints. Jackies Mutter hatte Stoff gekauft und sich ans Werk gemacht. Beim Kochen gelang ihr nichts außer Fischstäbchen, aber nähen konnte sie.


Foto: Lukas Friesenbichler; Werbemotiv von Karl Lagerfeld

Wie Jessica das alles herausbekommen konnte, war Jackie schleierhaft. Sicher: Jahrelang waren sie beste Freundinnen gewesen und hatten alles gemeinsam gemacht. Die Polly-Pocket-Sachen entsorgt, ihre Outfits von rosa und gebügelt auf schwarz und zerfetzt umgestellt, Avril-Lavigne- und Kate-Perry-Songs gebrüllt, Lady-Gaga-Outfits zu kopieren versucht und Justin Bieber zuerst süß und dann peinlich gefunden.

Einen ersten saftigen Knatsch hatte es gegeben, als Jessica anfing, Ben ebenfalls ernsthaft anzuhimmeln, den smarten Typen, der bei ihrem Lieblings-Starbucks immer kleine Schokosauce-Herzen auf ihre Double-Caramel-Frozen-Frappuccinos zauberte. Ben gehörte Jacqueline, ihr allein. Ein Jahr später schrieb Jessica dann hinter Jackies Rücken SMS an Niki, den Sänger der supercoolen Band Supermarket, den Jackie schon seit einiger Zeit (leider erfolglos) anzubaggern versuchte.

Da reichte es Jackie: Sie machte Schluss mit Jessica. Von diesem Zeitpunkt an herrschte Eiszeit zwischen den beiden. Hass, Verachtung und Häme ersetzten die zarten Bande der Freundschaft nachhaltig. Die Mehrheit ihrer Klasse hielt die Lösung des Nahost-Konflikts für wahrscheinlicher als eine Wiederannäherung von JayJay – wie man die beiden früher nur im Kombipack auftretenden Busenfreundinnen jahrelang genannt hatte.

Jackie hatte jetzt echt gerade eine komplette Krise: Was sollte sie nur tun? Nicht denken, nur starren. Wenigstens das Blickduell mit diesem Biest wollte sie gewinnen. Ach, Scheiße. Jetzt war das ganze Maturajahr versaut. (Stefan Ender, derStandard.at, 04.05.2014)