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Das große, internationale Medikamentenkarussell: Parallelimporte, Fälschungen, Internetapotheken sind Faktoren, die Behörden berücksichtigen müssen.

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Das 60-Jahr-Jubiläum des Branchenverbands Pharmig am letzten Freitag sollte freudig sein. Eigentlich dachte die Industrie, dass dank langjährigen Lobbyings in Brüssel das Thema Fälschungen im Griff sei. Und dann das: Teure Krebsmedikamente werden gefälscht und tauchen gestreckt bei Parallelimporteuren in Deutschland auf. Auch in Österreich wurden derartige Produkte vermutet, bisher aber nirgendwo gefunden. Und als ob das nicht genug wäre: Es gibt es auch Lieferengpässe bei Kinderimpfungen.

"Gesundheitswesen in Gefahr"

Es gehe nicht an, dass Österreich aufgrund eines mangelhaften Beschaffungssystems und restriktiver Voraussetzungen in der Vertriebsorganisation bei der Arzneimittelversorgung diskriminiert werde, polterte Ärztekammerpräsident Artur Wechselberger. Und der Wiener Gynäkologe und Präsident der Österreichischen Krebshilfe, Paul Sevelda, legte bei der Jubiläumsfeier der Pharmig nach: "Noch" gehöre das österreichische Gesundheitswesen zu den besten der Welt. Doch es sei in Gefahr. Man spüre bereits zunehmend Schwierigkeiten bei der Umsetzung modernster Therapien. Beide orten die Gründe im Spardruck der Kassen.

Tatsächlich scheinen die jüngsten Entwicklungen Folgen komplexer Zusammenhänge in der Pharmaindustrie zu sein. So versucht die Industrie seit Jahren Fälschungen in den Griff zu bekommen und hat dazu Fälschungsrichtlinien EU-weit durchgesetzt, mit denen etwa der Onlineversand streng kontrolliert wird. Gleichzeitig dürfen nur noch Wirkstoffe zur Weiterverarbeitung in die EU eingeführt werden, die nach Standards der guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice – GMP) produziert wurden – längst kommen ja viele Wirkstoffe aus Indien und China.

Doch nicht alle Länder sind auf die Regelung vorbereitet. Immer wieder gehen Mengen in der Produktion verloren und tauchen dann gepanscht wieder auf. GMP führt so seit einiger Zeit zu Lieferschwierigkeiten. Anders formuliert: Die Industrie wird Opfer der eigenen Bemühungen. "In den nächsten Jahren leisten pharmazeutische Unternehmen europaweit Investitionen von sieben bis elf Milliarden Euro für Maßnahmen, die die Fälschungssicherheit von Arzneimitteln weiter erhöhen", betont Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig.

Teures Geschäft

"Diese finanziellen Aufwendungen werden nötig sein, um die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/62/EU zur Verhinderung des Eindringens gefälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette zu gewährleisten."

Dennoch gelangten nun sogar gefälschte Krebsmittel in die legale Kette. Über sogenannte Parallelimporteure, also Unternehmen, die Preisdifferenzen zwischen einzelnen Ländern ausnutzen und Originalprodukte im billigeren Land ein- und im anderen dann verkaufen. Die Differenzen ergeben sich aus Steuern und durch Handelsspannen, die Großhändlern und Apotheken von den Krankenversicherungen gewährt werden oder auch anhand der sogenannten Fabrikabgabepreise.

Denn die Industrie selbst verlangt nicht überall die gleichen Preise für die gleichen Produkte. Meist bedingen die Marktmacht der Versicherungen und die Größe des Marktes auch die Medikamentenpreise. Die deutschen Krankenkassen etwa sind sogar gesetzlich verpflichtet, einen Teil ihrer Arzneimittel aus solchen Quellen zu beziehen. Auch in Österreich werden seit einigen Jahren Arzneien vor allem aus Osteuropa parallel importiert.

Parallelimporteure bieten einen um zwei bis fünf Prozent geringeren Preis als die Originalhersteller, hört man aus der steirischen Spitalsgesellschaft Kages. Überwacht werden die Vorgänge allerdings genau. Parallelimporte müssen laut Arzneimittelgesetz genehmigt werden. Dazu gehören auch Angaben über die Umetikettierung. Rein formal ist die Sache also in Ordnung und für die öffentlichen Gesundheitssysteme ein Gewinn.

Die Kages hat nun ausgerechnet das jetzt betroffene Krebsmittel Heceptin auf diesem Weg gekauft, mit dem Ziel zu sparen. Denn gerade Krebsmittel sind teuer. Die Ausgaben dafür steigen pro Jahr insgesamt um bis zu 30 Prozent. Die Steirer haben angekündigt, auf die Bestellung der fraglichen Präparate via Parallelimporteur vorerst zu verzichten. "Alle Daten der Patienten, die mit Medikamenten aus den betroffenen Chargen behandelt wurden, werden jetzt analysiert", sagte ein Kages-Sprecher.

Medikamentenknappheit

Verliererin der Entwicklung scheint die Industrie selbst zu sein, die offenbar zu Maßnahmen greift, die am Ende Patienten treffen: Lieferungen in Länder, aus denen Parallelexporte erfolgen, werden nicht selten verknappt. Immer öfter seien in österreichischen Grenzregionen gegen Monatsende bestimmte Medikamente nicht mehr verfügbar, weil die Hersteller die Auslieferung bremsen, hört man aus Apotheken.

Betroffen waren bereits vor zwei Jahren bis zu 400 Produkte von fast allen internationalen Herstellern. Heinz Krammer, Sprecher des Großhandelsverbandes Arge Pharmazeutika damals: "Es nimmt zu, dass die Industrie versucht Parallelexporte durch Kontingentierungen zu verhindern. Grund ist das Preisniveau."

Die Pharmig will den Vorwurf, dass Unternehmen aus wirtschaftlichen Interessen Produkte rationieren, nicht gelten lassen. Die Kontingentierungen würden auch mit den Produktions- und Bestellmechanismen zusammenhängen. Jede Vertriebsfirma eines internationalen Konzerns bestellt fixe Mengen für den lokalen Markt, und Engpässe können dann nicht einfach rasch ausgeglichen werden. (Martin Schriebl-Rümmele, DER STANDARD, 29.4.2014)