Sollte er ein Straftäter sein, würden Gerry Adams' Rehabilitierungschancen zu Recht als gut gelten. Hat er doch wesentlich dazu beigetragen, dass der jahrzehntelange Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland nicht mehr so blutig wie in der Vergangenheit ist. Was aber nichts daran ändert, dass der irische Parlamentarier möglicherweise den Mord an einer zehnfachen Mutter in Auftrag gegeben hat.

Das ist es, was die nordirische Polizei dem 65-jährigen Chef der irisch-republikanischen Partei Sinn Féin (zu Deutsch "Wir selbst") vorwirft. Es geht um Jean McConville. Die 37-jährige Witwe lebte mit ihren zehn Kindern im Alter von sechs bis 15 Jahren im katholischen Kerngebiet von Westbelfast - in jenem Stadtteil, in dem auch Adams in einer Arbeiterfamilie als ältestes von zehn Kindern aufwuchs. Im Dezember 1972 wurde die Frau vor den Augen der Kinder von der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) entführt, später erschossen, ihr Leichnam an der Küste verscharrt. Erst 30 Jahre später erhielt die Familie die sterblichen Überreste zurück.

Zum Zeitpunkt der Entführung war Adams in der Hierarchie der IRA - je nach Sichtweise Unabhängigkeitskämpfer oder Terroristen - schon weit aufgestiegen. Er soll damals zumindest die "Belfast Brigade" geleitet haben. Der Vater eines 40-jährigen Sohnes sagt dagegen, er habe sich zwar nie von der IRA losgesagt und werde das auch nie tun, leugnet aber, auch nur einfaches Mitglied gewesen zu sein.

Sicher ist, dass Adams im Juli 1973 von den Briten festgenommen wurde und bis 1977 im Gefängnis saß. Aus Sicht seiner Gegner nicht untätig: Gemeinsam mit anderen soll er die Zellenstruktur der IRA entworfen haben, die eine Infiltration durch Geheimdienste erschwerte. Als Belohnung stieg er angeblich in den Armeerat, das Führungsgremium der IRA, auf.

Offiziell ist er aber Politiker: Vizepräsident der Sinn Féin wurde er 1978, Parteivorsitzender 1983. Das Ziel eines geeinten und unabhängigen Irland liegt in der Familie: Schon Adams' Großvater und sein Vater kämpften gegen die Briten.

Dass er seit Jahren im irischen Parlament Gesetze beschließt, entbehrt nun nicht der Ironie. Nuala O'Loan, die unabhängige frühere Polizeiombudsfrau Nordirlands, die den Fall McConville selbst untersucht hat, hält eine Verurteilung Adams nicht für sicher. Doch die Festnahme sei ein schöner Beweis: "Niemand steht über dem Gesetz." (Michael Möseneder, DER STANDARD, 2.5.2014)