Ricarda ist Klientin des Tiroler "Mohi", des mobilen Hilfsdienstes. Sie sagt, lange Zeit habe sie "nur die falschen Leute angezogen". Heute lebt sie von Mindestsicherung.

Innsbruck - Eine schwarze Dogge steht draußen vor der offenen Terrassentür. Sie hechelt und will Aufmerksamkeit, steckt ihre Schnauze zwischen die Latten eines Holzzäunchens, das von innen gegen den Türrahmen gelehnt wurde. Mit einem sanften Stups könnte sie es jederzeit umstoßen und hinein. Das wisse sie bloß nicht, erklärt ihre Besitzerin Ricarda.

Ricarda ist nicht ihr richtiger Name. Die 48-jährige Frau möchte in der Zeitung nicht erkannt werden, möchte nicht, dass die Menschen, von denen sie sich nach langer gemeinsamer Zeit getrennt hat, lesen, wie sie nun ihr Leben führt. Man könnte sagen, Ricarda geht es ähnlich wie ihrer Dogge: Sie stößt in ihrem Leben an Grenzen, die für andere als solche nicht wahrnehmbar sind.

Das größte Problem, an dem sie derzeit arbeitet, ist Alltag. Morgens aufstehen, arbeiten, einkaufen, was man eben so tut. "Zum Vormittag habe ich kein Verhältnis", sagt sie und lacht. Lange Zeit hat sie in der Gastronomie gearbeitet, dann kamen der Alkohol und eine Depression. Heute steht sie normalerweise zwischen zwei und vier Uhr nachmittags auf und geht schlafen, bevor die Sonne wieder aufgeht.

Das sei schon ein gesünderer Rhythmus als noch vor nicht allzu langer Zeit, als sie nur dann wach war, wenn andere schliefen, erzählt sie. "Gerettet", wie Ricarda sagt, habe sie dann im Grunde ein Krankenhausaufenthalt vor zwei Jahren, bei dem nicht nur Darmpolypen, sondern auch ihre psychische Labilität diagnostiziert wurde. Man überwies sie zu einem Psychiater und der wiederum fand, dass sie ein Fall für das Mohi ist.

Der Mobile Hilfsdienst, der heute nur noch kurz "das Mohi" genannt wird, ist eine gemeinnützige Einrichtung in Tirol, die über sich selbst sagt, "sozialintegrative Alltagsbegleitung" zu leisten. Einfacher gesprochen: Es füllt eine Lücke im heimischen Sozialsystem, indem es sich an Menschen richtet, die nicht zwangsläufig in einem Heim leben müssen, alleine aber auch nicht wirklich zurechtkommen.

Das Mohi unterstützt etwa Menschen mit Behinderungen, Aids oder psychischen Problemen, Suchtkranke sowie Altersschwache - es gibt keine genaue Definition. Die Betreuer des Mohi haben unterschiedliche fachliche Qualifikationen und kommen ein paar Stunden die Woche in die Wohnungen ihrer Klienten, um mit ihnen Gespräche zu führen, einzukaufen, Behördentermine wahrzunehmen oder schlicht gemeinsam Briefmarken einzukleben.

Die einzigen Kontakte

Im Fall von Ricarda sind ihre zwei Mohi-Betreuer die einzigen sozialen Kontakte, die sie hat. Bei ihnen wisse sie, dass es "saubere Leute" sind. Ricarda kam vor über zehn Jahren von Deutschland nach Tirol, um ihre Großmutter zu pflegen - zu dem Zeitpunkt ihr einziges noch lebendes Familienmitglied, wie sie sagt. "Zuerst ist die Oma gestorben, dann ein Freund, dann mein Pferd, und dann habe ich einfach nur noch die falschen Leute angezogen. Auf die kann ich verzichten."

Heute lebt Ricarda von Mindestsicherung. Das wohl Teuerste in ihrer kleinen Wohnung ist ein riesiger Flachbildfernseher, auf dem ein Musiksender läuft. Sie wisse nicht, ob und als was sie wieder arbeiten könne, sagt sie. Als wäre es eine Szene aus einem Film, werden ihre Worte von den White Stripes untermalt, die "I just don't know what to do with myself" hauchen.

"Was wir bieten, ist keine Therapie, wir haben keine Auflagen, wir versuchen einfach, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind", sagt Ricardas Mohi-Koordinator Christoph und zieht an einer Zigarette. "Was wir vor allem machen, ist, Menschen ihre Autonomie zurückzugeben." (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 2.5.2014)