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Je nach persönlichem Lebensstil und Wertvorstellungen reagieren Menschen unterschiedlich auf ärztliche Anweisungen.

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Österreichs Sinus-Milieus und ihre Einstellung zu Gesundheitsfragen.

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Wien - Menschen mit höherer Bildung haben statistisch ein geringeres Sterberisiko. Das zeigt sich in Statistiken aus dem Gesundheitswesen und der medizinischen Forschung, wo Patienten grob nach soziodemografischen Kategorien wie Alter, Geschlecht, Einkommen und Bildung eingeteilt werden.

Ob Menschen die Anweisungen von Ärzten befolgen und wie sie insgesamt mit Gesundheit, medizinischen Informationen und Diagnose umgehen, hänge aber auch stark von persönlichen Werten, Einstellungen und Lebensstilen ab. Das sagten Experten aus dem Gesundheitsbereich, darunter der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger, bei einer Präsentation am Mittwoch. Um Patienten individuell behandeln zu können, sei es deshalb wichtig, sie möglichst gut zu kennen.

Eine Möglichkeit dazu bietet die Arbeit mit sogenannten Sinus-Milieus. Dabei werden Menschen nicht nur nach demographischen und sozioökonomischen Merkmalen, sondern auch nach Wertorientierungen und Lebensstilen gruppiert. Das pharmazeutische Unternehmen "Janssen Forum" hat in einem Projekt zehn solcher Milieus für Österreich entwickelt und mit einer Stichprobe von 1000 Studienteilnehmern deren jeweiligen Umgang mit Gesundheitsfragen erfasst.

Erhobener Zeigefinger

Menschen mit traditionellen Wertvorstellungen wie Pflichterfüllung und Ordnung neigen beispielsweise eher dazu die Anweisungen von Ärzten zu befolgen. Bei den "Hedonisten" hingegen, einer Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen, die als momentbezogen und erlebnisorientiert charakterisiert wird, habe der "erhobene Zeigefinger" einen gegenteiligen Effekt, sagt Janssen-Geschäftsführer Erich Eibensteiner.

Patienten der "materialistisch geprägten Unterschicht" reagierten oft passiv oder resigniert und nähmen Vorsorgeuntersuchungen nicht in Anspruch. Diese Menschen liefen ständig Gefahr, überhört oder übersehen zu werden, sagt auch Alexander Gaiger, Arzt für Innere Medizin am Allgemeinen Krankenhaus in Wien. Es gebe Patienten, die sich im Internet informieren oder eine zweite Meinung einholen sowie solche, die zurückhaltend sind und kaum Fragen stellen.

Individuelle Persönlichkeitsmerkmale hätten aber nicht nur Einfluss auf die Arzt-Patienten-Beziehung, sondern auch auf die Häufigkeit von medizinischen Konsultationen, die Annahme oder Verweigerung von Therapien sowie das allgemeine Gesundheitsbewusstsein, besagt die Studie. Die gleiche Krankheit könne zudem je nach Milieu aus ganz unterschiedlichen Gründen auftreten und eine dementsprechend abgestimmte Behandlung verlangen. So werde zum Beispiel bei traditionell eingestellten Personen die Ursache für Adipositas eher "deftige Hausmannkost" und das Prinzip "Der Teller wird leergegessen" sein. Bei Menschen, die der "konsumorientierten Basis" angehören, werde "Essen als Seelentröster" eingesetzt, das seien die typischen Couchpotatos.

Zielgruppen berücksichtigen

Ein solches Modell werde bisher im Gesundheitswesen nicht verwendet, sagt Gerald Bachinger, Sprecher der österreichischen Patientenanwälte. Dabei wäre es sinnvoll in die Tiefe zu gehen, anstatt nur Alter, Geschlecht und Beruf zu erheben. Es müsse viel stärker zielgruppenorientiert gearbeitet werden, auch bei Themen der Gesundheitsreform wie Transparenz, telefon- und internetbasierte Erstberatung und Erhebungen zu Patientenzufriedenheit. Man müsse auch hier schauen, welche Menschen welche Informationen brauchen.

Die Sinus-Milieus wären "eine mögliche Methodik der Umsetzung", sagen die Fachleute. Wie das Modell in die Praxis umgesetzt werden kann, darüber müsse noch diskutiert werden. Ein Ansatz wären Fragebögen beim Arztbesuch, die neben der Krankengeschichte auch Persönlichkeitsmerkmale erfassen. (Christa Minkin, derStandard.at, 30.4.2014)