Eine Perspektive aus der Mehrfach- projektion "East West South North" von Hans Schabus.

Foto: Galerie Stadtpark

Krems - Im Thriller A Kiss Before Dying, der 1956 mit Robert Wagner, im Remake 1991 mit Matt Dillon in der Hauptrolle verfilmt wurde, ist es ein vorbeirasender Güterzug, der gegen Ende zum Aha-Moment führt. Am Elternhaus des psychopathischen Killers donnern bedrohlich und fast ohne Unterlass Züge der Carlsson-Werke vorbei, verdunkeln die Sonne und erschüttern nicht nur symbolisch den Boden, auf dem mit Jonathan Corliss auch dessen perfide, von Hass getriebene Pläne heranreifen.

Auch in Hans Schabus' Videoinstallation East West South North, einer dreiteiligen, synchron geschalteten Mehrfachprojektion, ist es das ohrenbetäubende Vorbeibrausen eines Zuges, das die Hintergründe seiner melancholischen Filmminiatur verstehen lässt: Von links rasen die Wagons ins Bild. In der mittleren Projektion fegen sie als frontale, unüberwindbare Wand vorbei, die den Horizont verdeckt. Und rechts verschwinden sie in der Wüste Neu-Mexikos. Die Züge der Atchinson-, Topeka- und Santa-Fe-Railway halten hier nicht mehr.

Das "Hier" heißt Yeso und war einst wichtiger Umschlagplatz für den Handel mit Vieh und Agrarprodukten. Die Verlagerung der Handelsplätze hat aus Yeso eine Geisterstadt gemacht, in der sich außer den klappernden Fensterläden oder den "rolling bushes" gar nichts mehr bewegt. Post-, Polizeistation und eine Art Gemeindesaal bröseln trostlos vor sich hin.

Jede halbe Stunde rast der Zug durch die gottverlassene Gegend, die auch als Filmkulisse für No Country for Old Men durchgehen könnte. Die Waren entern den globalisierten Markt. Schabus' Inszenierung bricht den Mythos des Westens und so auch die mit den Himmelskoordinaten verbundene wirtschaftliche Weltordnung. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 30.4.2014)