Wien - Hans-Ulrich Jörges hat zum vierten Tag des Qualitätsjournalismus in Wien Medien in ihrem Umgang mit der EU die Leviten gelesen. Man würde in Zusammenhang mit der Union über vieles nicht berichten, um Populisten keine Munition zu liefern, konstatierte das Mitglied der Chefredaktion des "Stern" bei der vom Manstein Verlag und Verband Österreichischer Zeitungsherausgeber (VÖZ) veranstalteten Tagung.

Gerade dadurch besorge man das Geschäft der Populisten, sagte Jörges. Die Leser würden spüren, dass hier ein Freiraum existiere. Er nannte dieses Phänomen eine "Dialektik der Schönfärberei". "Ich glaube, wir haben die EU im Großen und Ganzen missverstanden", erklärte der "Stern"-Vertreter. Und man habe sich in diesem "bequemen Missverständnis eingerichtet", dass die EU ein "sanftes Monster" sei. Doch dieses "sanfte Monster" habe "Europa an den Rand eines Krieges gebracht. Jörges nannte den Assoziierungsvertrag mit der Ukraine, bei dem Russland nicht in die Gespräche eingebunden gewesen sei.

"Schönfärberei"

Journalisten würden in der EU-Berichterstattung Wesentliches nicht mehr sehen. "Investigativen Journalismus erkenne ich nicht mehr", kritisierte Jörges. Dabei würde es gerade in Sachen Korruption und Lobbyismus in der EU investigativen Journalismus benötigen. Man diskutiere nicht über die Ostpolitik der EU, die erste Direktwahl des Kommissionspräsidenten, die "Schnüffelpraktiken der NSA" oder über den Schuldenabbau Griechenlands. "Der kommt nach der Wahl, auch wenn den Wählern, vor allem in Griechenland gesagt wird, dass Griechenland über den Berg sei", so Jörges und sprach von "Schönfärberei".

Der "Stern"-Journalist ortete Defizite beim Eingeständnis von Fehlern bei der EU selbst, aber auch bei der Wahrnehmung von Geschehnissen in Zusammenhang mit der EU bei Journalisten. "Putin war's ganz alleine", lautete Jörges Urteil über weite Bereiche der Berichterstattung zur Ukraine-Krise. "Die Menschen folgen uns da aber nicht mehr."

Mayer: "Man sollte nicht sagen , die EU"

Jörges' Thesen widersprach Thomas Mayer, leitender Europa-Redakteur des STANDARD: "Wir sind heute so gut über die EU informiert wie noch nie." Es herrsche große Transparenz in der Union. "Was mich am meisten befremdet, warum man das an den Europäern festmacht, wenn Putin seine Politik so betreibt, wie er sie betreibt. Und vor allem an der Kommission, die hat null Spielraum." Mayer weiter: "Man sollte nicht sagen , die EU. Die gibt es nicht, es gibt die Mitgliedstaaten."

Während sich das Podium über das eigentliche Thema der Diskussion "Europa: Ein Projekt von Eliten für Eliten?" zumindest in Bezug auf das "von" weitgehend einig war, entspann sich zwischen ORF-Auslandskorrespondent Raimund Löw sowie dem Chefredakteur der "Kronen Zeitung" und des "Gewinn", Georg Wailand, eine Diskussion über die Rolle der "Krone" in der EU-Berichterstattung. Löw sprach davon, dass seiner Meinung nach 60 bis 70 Prozent der "Krone"-Berichte in Zusammenhang mit der EU die Faktenlage nicht korrekt wiedergeben würden. Wailand dazu: Die Redaktion spreche nicht mit einer Stimme. Natürlich sei es ein Unterschied, ob Kurt Seinitz eine Geschichte schreibe oder ein umweltbewegter Redakteur der Chronik.

Kritik in Sachen Presseförderung

Zu Beginn der Tagung kritisierte VÖZ-Präsident Thomas Kralinger einmal mehr die Pläne der Regierung in Sachen Presseförderung, die eine Kürzung der knapp elf Millionen Euro umfassenden Presseförderung um zwei Millionen Euro vorsehe.

"Qualitätsjournalismus lässt sich nicht an einer bestimmten Anzahl an Redakteuren festmachen, aber es gibt genug nachvollziehbare und objektivierbare Kriterien, nach denen man eine reformierte Presseförderung vergeben kann", sagte Kralinger. "Unser Verband wird um eine bessere Dotierung für die Sicherung des hochqualitativen Medienmarktes Österreich weiterhin kämpfen." (APA, 29.4.2014)